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Dieser Artikel ist in der MSZ 4-1981 erschienen.

Systematik

Bhagwan aus Poona
KOPFLOS IM ASHRAM

"Die Bhagwan-Bewegung ist zum heimlichen Hit der 'Psycho-Welle' geworden, die über die krisenkranke Konsumgesellschaft schwappt. Das Angebot zur Seelenwäsche am Wochenende, zur Glückssuche in Gruppen hat unübersehbare Ausmaße angenommen." (Stern, 14.5.1981)

Jedermann, selbst wenn er noch nie eine Schrift von MARX in der Hand hatte, weiß dennoch, was er vom Marxismus zu halten hat. Es handelt sich um eine verwerfliche "Heilslehre", eine "Ersatzreligion", eine "realitätsferne Ideologie" - und beliebt unter rechten wie linken Gegnern der MARXISTISCHEN GRUPPE ist der Vergleich ihrer Teach-Ins mit "andächtigen Messen" und die Beschimpfung ihrer Redner als "Gurus". Wenn man das so hört, möchte man meinen, die ganze intellektuelle Öffentlichkeit sei ein einziger Hort von Atheisten und erklärten Gegnern jeden Sektenwesens.

Aber leider - weit gefehlt. Deutschlands Intellektuelle stehen auf Heilslehren und Sekten und finden dafür durchaus Verständnis in der Öffentlichkeit:

"Bhagwans Bundesbürger - das sind in der Mehrheit nicht etwa verspätet pubertierende Jünglinge" (ganz im Unterschied also zu den Kommunisten, die mit 30 immer noch nichts dazugelernt haben), "... sondern 'beautiful people'". (Stern, 14.5.81)

"Mit dem Begriff 'Jugendsekte' ist das nicht zu fassen, außer man unterstellt, daß ein Mensch mit 70 noch oder wieder pubertiert." (Spiegel, Nr. 10/1981)

In ekstatisch stampfenden, sich schreiend auf dem Boden wälzenden, und verklärt auf ein Heiligenbildchen des Meisters an der Wand starrenden Bundesbürgern entdeckt die Öffentlichkeit nicht etwa Spinner und Verrückte, in die der Teufel gefahren sein muß. Nein, Bhagwans Botschaft hat es ihnen angetan, und das findet die Presse gut und nicht schlecht.

Warum auch nicht? Bhagwans Botschaft paßt in den aktuellen Psycho-Boom, wo die Rückkehr in die Innenwelt und das Ins-Reine-Kommen mit sich in ihr ein schönes Komplement bilden zu dem, was in der Außenwelt so vor sich geht und vor allem nicht mehr geht. Zudem ist eine Reise nach Poona immer noch besser als seelenloser Massentourismus - für den, der sich's leisten kann und für alle, die sich so was leisten, weil sie nichts "leisten" wollen und immer noch besser in Südindien aufgehoben sind, als in den Reihen der "unruhigen Jugend".

Zwar werden, die Praktiken der Jünger Bhawans von der Presse z.T. belächelt oder mit Befremden kommentiert. Aber solche Reporter müssen sich wirklich mal fragen lassen, wieso sie von 50000 knieenden, betenden, beichtenden und heulenden Normalverrückten auf dem Petersplatz mit andächtigem Ernst berichten, sich aber über dasselbe meinen mokieren zu müssen, wenn es in rosa-roten Gewändern stattfindet.

Dementsprechend läßt der Ansturm auf Poona die Öffentlichkeit dahinter ein anerkennenswertes Bedürfnis entdecken, das schon allzu lange unterdrückt worden sei. Um die "Suche nach menschlicher Anerkennung", "Selbsterfahrung", "Selbstfindung" und "Lebenssinn" geht es da - also recht besehen um die Lösung all der Probleme, die jeder gebildete Mensch in der BRD glaubt haben zu müssen.

Anhänger wie Beobachter der "Szene" sind sich nicht nur einig darüber, daß die mit Gläubigkeit, Opferbereitschaft und Irrationalität praktizierte Suche nach dem "Lebensglück" Anerkennung verdient, sondern daß das völlige oder wochenweise Ausflippen durchaus seine berechtigten Gründe hat. Da stehen dann auf einmal Leute, die auf Kritik am materiellen Elend im Kapitalismus und an der praktischen wie intellektuellen Angepaßtheit seiner Bürger reagieren wie der Teufel aufs Weihwasser, in vorderster Front, wenn es gilt, gleich den gesamten "Westen" als "krisenkranke Konsumgesellschaft" in Bausch und Boden zu verdammen. Da entdecken sie auf einmal Unterdrückung, allerdings durch das "westliche Denken", sie leiden unter "Vereinzelung, Einsamkeit und Entfremdung" und fühlen sich als "Analphabeten des Gefühls". Intellektuelle, die nicht mal einen richtigen von einem falschen Gedanken unterscheiden, geschweige denn, auch nur einige halbwegs richtige Aussagen über Ausbeutung, Demokratie oder die momentane Weltlage machen - behaupten da allen Emstes, zuviel Verstand abgekriegt zu haben. Und mit Kräften bemühen sie sich nach Bhagwans Motto: "Ihr habt nicht zu verlieren als Eure Köpfe" auch noch das loszuwerden, was sie für ihren Verstand halten.

"Sie (die Bhagwan-Gläubigen) haben, soweit sie aus Deutschland kommen, fast alle Abitur. Sle haben vielfach Universitätsabschlüsse." (Spiegel, Nr. 11)

Bhagwans Anhängerschaft sind tatsächlich die "Produkte (!) der höheren Bildungsanstalten Europas und Nordamerikas". Allein die Tatsache, daß die dort produzierten Pädagogen, Psychologen, Ärzte und Anwälte, also gerade die gebildete Elite den größten Teil seiner Fans ausmachen, offenbart, daß Abitur und eine gute Universitätsausbildung die beste Grundlage dafür sind, mit dem dort gelernten Unsinn und Irrationalismus auch Ernst machen zu wollen. Wo sonst, als im intellektuellen Geistesleben, kann unwidersprochen behauptet werden, es fehle an Religiösität (Millionen Gläubige beim Papstbesuch sind wohl zuwenig?), die Politiker wüßten keine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens (sein Leben im kommenden Weltkrieg von ihnen verheizen zu lassen, ist wohl nicht Antwort genug?) und es herrsche Überfluß an Verstand und Skeptizismus (und das angesichts der überaus unskeptischen Aneignung der blödesten Sprüche, wenn sie nur von Professoren kommen).

Mit "indischer Weisheit" hat das Sinn-Kauderwelsch des Ashram-Chefs wahrlich nichts zu tun: Hier verkauft einer eine Melange aus den gängigen Sprüchen westlicher Psycho-, Sozio- und Philosophie übersetzt in Amijargon als letzten Ausfluß fernöstlicher Meditation und sahnt dabei zu günstige Wechselkursen ab.

Also von wegen, Intellektuelle würden aus Ablehnung des westlichen Denkens nach Poona ziehen: Nicht vom Materialismus oder rationalem Denken sind sie verseucht - wie sie immer meinen -, sondern es drängt sie, dem in ihren Bildungskreisen gepflegten Irrationalismus endlich freien Lauf zu lassen.

Also, liebe Bhagwan-Sympathisanten:

Daß man mit dem gelehrten Zeug in Gymnasium und Universität nicht recht glücklich wird, mag ja sein. Aber deshalb gleich ganz seinen Geist aufgeben und ab nach Poona? - da landet ihr ja schon wieder bei einem praktizierenden Philosophie-Professor, der inzwischen einen recht praktischen Sinn für abendländische Gebote der Zeit entwickelt hat. Nachdem sich Bhagwan für die eigne indische Atombombe ausgesprochen hat, soll er jetzt krank geworden und deswegen abgereist sein. Ein neuer Ashram für wenige Auserwählte ist in einem unzugänglichen, durch hohe Berge geschützten Tal im Himalaya im Gespräch. Da muß doch der vergeistigste Bikkhu zwei und zwei zusammenzählen können...