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Friedensappellanten
NATIONALE ALTERNATIVE AUS KREFELD
Seit Monaten suchen sich deutsche Politiker in der Verurteilung jeder Friedensliebe zu überbieten, die in ihrem Ideal etwas anderes sehen will als eine Begründung für die derzeitigen Kriegsvorbereitungen der Nato. Wo Regierung, Opposition und Präsident gegen "übertriebene idealistische Bestrebungen" zu Felde ziehen und die politische Landschaft mit ihrem Verdikt einer bloßen "Gesinnungsethik" oder einer "Ersatzreligion" namens Entspannung bestimmen, da nimmt es Wunder, mit welchen Argumenten die wenigen Bundesbürger angetreten sind, die solche Meinungsbildung insofern auf sich persönlich beziehen dürfen, weil sie mit der beschlossenen Aufrüstung nicht einverstanden sind. Angesichts der Feindschaft gegen pazifistische Bestrebungen, die zum Kriterium und Mittel jeglicher Äußerung der Männer von der "Verantwortungsethik" geworden ist, wollen die Verfasser der Krefelder Erklärung in deren Taten nicht den politischen Zweck, sondern ausgerechnet einen Fehler am Werke sehen:
"Immer offensichtlicher erweist sich der Nachrüstungsbeschluß der Nato vom 12.12.1979 als verhängnisvolle Fehlentscheidung. Die Erwartung, wonach Vereinbarungen zwischen den USA und der Sowjetunion zur Begrenzung der eurostrategischen Waffensysteme noch vor der Stationierung einer neuen Generation amerikanischer nuklearer Mittelstreckenwaffen in Westeuropa erreicht werden könnten, scheint sich nicht zu erfüllen."
Die einzigen Fehler, von denen hier die Rede sein kann, machen die Verfasser des Zitats. Der erste besteht in der Vorstellung, daß solche Erwartungen sich selbst erfüllen oder eben leider manchmal auch nicht, wenn nämlich die gute Sache nicht "erreicht werden" kann. Angesichts anonymer Schwierigkeiten und Hinderungsgründe lassen die Krefelder die Subjekte des Nachrüstungsbeschlusses bereitwillig an der eigenen Illusion teilhaben, es wäre eigentlich um Abrüstung gegangen und das täte jetzt nicht funktionieren. Damit bekennen sich die Krefelder zweitens zu der falschen Interpretation des Doppelbeschlusses, die Nato habe sich für die neuen Raketen nur bedingt entschieden und wolle sie von Verhandlungen abhängig machen - als ob der Beschluß, wie sein Name treffend sagt, nicht genau dies zum Inhalt hatte, daß man das eine tut und das andere nicht läßt. Und damit verbietet sich drittens die Gemütlichkeit, für die die Abstraktion "Verhandeln = nicht Schießen" steht. Die neuen Waffen sind das Argument, der Sowjetunion ein Wohlverhalten abzunötigen, dessen Inhalt mit Afghanistan (= Preisgabe strategischer Positionen) und Polen (= Preisgabe des Ostblocks) schon deutlich genug umrissen ist: Das Verhandeln dient dem Ausschalten der Weltmacht Nr. 2 und damit demselben politischen Zweck, für den der 3. Weltkrieg in Aussicht genommen ist.
"Untragbares Risiko?"
"Ein selbstmörderischer Rüstungswettlauf könnte nicht im letzten Augenblick gestoppt werden; seine zunehmende Beschleunigung mit offenbar konkreter werdenden Vorstellungen von der scheinbaren Begrenzbarkeit eines Nuklearkriegs müßte in erster Linie die europäischen Völker einem untragbaren Risiko aussetzen."
Natürlich geht es bei der Rüstung weder um einen Wettlauf noch um Selbstmord, sondern um die Mittel eines Staates, den Willen anderer Staaten mit wirklichem oder angedrohtem Mord an deren Völkerschaften zu brechen. Dafür kommt es darauf an, hinreichend viel und wirksames Kriegsgerät bereitzustellen, und dafür auch werden die eigenen Verluste an Menschen und Material hingenommen. Was eben nicht die Frage aufwirft, ob sich ein Krieg lohne oder zu riskant sei, denn die militärische Selbstbehauptung von Staaten ist das Gegenteil eines Geschäfts. Wer also in der Aufrüstung einen Automatismus sieht, der von sich aus zu einem dann wirklich "sinnlosen" Krieg führt, verwechselt ganz gezielt Ursache und Wirkung und leugnet, daß der Krieg und die für ihn geschaffenen Mittel eine sehr zweckmäßige politische Angelegenheit sind. Das Argument mit dem "untragbaren Risiko" ist daher in zweierlei Hinsicht der helle Wahnwitz: Erstens erklären hier die Betroffenen implizit ihre Bereitschaft, in allerlei konventionellen Stalingrads zu sterben und zu töten, solange die Völker nicht ganz und gar daraufgehen und so den Fortbestand der Nation überflüssig machen.
Zweitens leisten sie sich gegenüber solchen "tragbaren", weil von den Opfern getragenen Risiken den Luxus, die Spekulation auf den kompletten Untergang des eigenen Staatswesens als Argument gegen die Schlächterei geltend zu machen. Dieser Einwand verdankt sich der Ideologie des Schutzes von Menschen und Nation, die Politiker für Aufrüstung und Krieg ins Feld führen.
Vor den Realitäten des Schutzes der Nation durch Militär und Krieg blamiert sich dieses Ideal sofort. Die Politiker sind für Aufrüstung, überlegenheit und Vorneverteidigung als die Wege, die Unversehrtheit der Nation zu sichern, wobei natürlich gewisse Risiken fürs Volk eingeplant sind. Eins kann man wirklich von den Politikern erwarten: daß sie sich selber gründliche Sorgen um die Erhaltung ihres nationalen Arbeitsplatzes machen. Schon angesichts des doppelten Trostes, der populärerweise aus der Vorstellung der totalen atomaren Vernichtung gezogen wird - 1. gibt's deswegen sowieso keinen Krieg mehr, 2. sind wir deswegen im nächsten Krieg wenigstens sofort alle tot -, könnte einem auffallen, daß die nur "scheinbare Begrenzbarkeit eines Nuklearkrieges" das Gegenteil eines Arguments und reine Wunschvorstellung ist, die nichts zu tun hat mit den Plänen und Anstrengungen der Politiker und Militärs. Die haben in den letzten 30 Jahren schon allerhand wunderschön begrenzte Kriege über die Bühne gebracht und arbeiten auch auf dem nuklearen Sektor laufend an der Vermehrung und Diversifikation der Systeme, Optionen, Szenarien und Theater. Wer demgegenüber die begrenzte Abwicklung eines Atomkriegs für ein Ding der Unmöglichkeit hält, sollte sich wenigstens der Logik zuliebe nicht die aparte Sorge machen, daß die Zerstörung sich ungerechterweise in den Grenzen Europas konzentriert. Oder umgekehrt: Wer meint, daß die Etablierung eines neuen Satzes von Atomraketen in den heimischen Gefilden den Krieg heraufbeschwört, sollte endlich seine Lieblingsvorstellung vom kriegsverhindernden Vernichtungspotential einer Revision unterziehen: Vom ach so stabilisierenden x-fachen over-kill wird doch durch eine Aufrüstung kein Quentchen abgelassen.
Neuauflage der Gleichgewicht-des-Schreckens-Ideologie
Die widersinnige Fortführung des falschen Gedankens "Viel atomarer Schrecken = Frieden" zu "Mehr atomarer Schrecken = Kriegsgefahr" ist identisch damit, daß die friedensstiftende Qualität des Zerstörungspotentials denn doch nicht an ihm selber liegen soll, sondern daran, daß es im Gleichgewicht vorhanden sei:
"Die Fiktion vom 'Doppelbeschluß' darf deshalb einer Aufkündigung dieses Rüstungsvorhabens nicht länger im Wege stehen, zumal die Nato auch ohne landgestützte Mittelstreckensysteme über ein zur glaubhaften Abschreckung mehr als ausreichendes Nuklearpotential 'in und für Europa' verfügt. Das 'Gleichgewicht des Schreckens' setzt eben allein eine Gleichwertigkeit der angedrohten Schäden, nicht eine Gleichartigkeit der dafür bereitgehaltenen Kriegsmittel voraus." (Brief)
Die Krefelder Initiative will eben so sehr an langgehegte westliche Rüstungsideologien glauben, daß sie sich von vor lauter Berufsidealen ausgeflippten Bundeswehrsfrategen nachrechnen läßt, ob sich die Nato selber dran hält. Und siehe da: die Nachrüstung braucht es gar nicht für den Abschreckungszweck. Das Ergebnis hätte man zwar auch ohne solche Mühen dem neuesten Stand der Begründungskunst für Waffen entnehmen können, nämlich daß man die russische Rüstung nicht oft genug ins Gleichgewicht setzen könne und ergo mit einer amerikanischen und einer europäischen (und einer französischen und einer englischen) Gegenkapazität einzeln aufzuwiegen habe. Aber daß Staaten, die sich handlungsfähig machen, nichts mit einer "Gleichwertigkeit der angedrohten Schäden" anfangen können, sondern ganz im Gegenteil Mittel zum Gewinnen des Kriegs brauchen, will den Krefeldern nicht in den Sinn. Diese Realisten der Friedensidee warten mit dem Hirnbeiß auf, die militärische Überflüssigkeit der Nachrüstung nachzuweisen und justament deshalb den Weltfrieden gefährdet zu sehen.
Für die Krefelder ergibt sich nämlich aus solch fiktiven Maßstäben der Weltpolitik der Übergang zu deren Subjekten, deren Taten und Untaten man be- und verurteilen, aber nicht sich erklären will: Dumm und böse ist, wer sich mehr Waffen anschafft, als er braucht. Dienen derartige Beiträge zur vorgezogenen Klärung der nächsten Kriegsschuldfrage gewöhnlich dem geflissentlichen Nachweis sowjetischer Aggressivität, so sollen sie hier - daß man sich gegen den Osten zu sichern hat, bleibt davon unberührt - eine Differenz im westlichen Lager kennzeichnen:
"Die Teilnehmer am Krefelder Gespräch... appellieren daher gemeinsam an die Bundesregierung, ... im Bündnis künftig eine Haltung einzunehmen, die unser Land nicht länger dem Verdacht aussetzt, Wegbereiter eines neuen, vor allem die Europäer gefährdenden Wettrüstens sein zu wollen."
Mit der Idiotie, einen Verdacht praktisch widerlegen zu wollen, was ihn ja wohl als begründeten unterstellt, machen sich die Krefelder an die Klärung der Rolle, die sie der eigenen Nation im Imperialismus zuweisen möchten. Durch das Ende der Entspannung ist auch die spezifisch bundesrepublikanische Leistung beim Teufel, als friedlicher Zwerg ganz selbstständig Großtaten für den Fortschritt des Ost-West-Verhältnisses zu vollbringen, also mit ailerhand innerdeutschen und europäischen Gesichtspunkten ins Gespräch zu kommen und Handelsbeziehungen zu knüpfen und damit die starren Fronten aufzuweichen. Letzterer Terminus verrät aber genau die Wahrheit über die so erreichten Dimensionen der politischen Erpressung des Ostens: Nicht nur an Polen ist die überaus friedliche Erzeugung von Kriegsgefahr deutlich, und daß durch lauter Abrüstungsverhandlungen die Aufrüstung ordentlich vorangekommen ist, ist auch kein Geheimnis. In Krefeld sehnt man sich zurück in diese Zeiten, wo deutsche Friedenskanzler die Politik des Westens, die nie abließ vom Zweck der Kapitulation der Sowjetunion, als Inkarnation eines originären BRD-Entspannungswillens praktizierten und nicht die unangenehme Pflicht hatten, ihre "überdurchschnittlichen" Rüstungsanstrengungen auch noch lautstark in Washington zu versichern.
800000 Unterschriften für den Friedenskanzler
Als ob nicht BRD-Politiker laufend aus unseren weltweiten Interessen deduzierten, daß unsere Sicherheit ebenso weltweit gefährdet und daher überall auf dem Globus zu verteidigen sei; als ob sie nicht dauernd die Quelle dieser Bedrohung im Osten lokalisieten und sich deshalb zum Vorreiter und Durchsetzer aller großen und kleinen Maßnahmen gegen den Feind der Freiheit profilierten; als ob sie also nicht im Beitrag zur Nato Chance und Fortschritt der Nation erblickten, wird im Krefelder Appell vorstellig gemacht, daß ein kriegslüsterner Ami-Präsident seine eigentlich anders wollenden Partner unter Druck setze. Unbekümmert um die schlichte Wahrheit, daß solcher Druck ohne gemeinsame politische Interessen der Verbündeten gar nicht funktionierte, wollen die Friedensfreunde unserem von den Amis in die falsche Pflicht genommenen Kanzler den Rücken stärken, damit er sein und der Nation besseres Selbst endlich wieder zur Geltung bringt. In der Form des Appells an die Bundesregierung faßt sich das ganze Elend der moralischen Sorge um unsere Souveränität zusammen. Man konfrontiert einen Schmidt mit seinem dummen Geschwätz von vorgestern, nämlich daß er die Formel "atomare Bewaffnung = Wahnsinn" auch selber mal irgendwo zweckdienlich an den Mann gebracht hat -
"Es ehrt Sie, dies gedacht und ausgesprochen zu haben! Für Deutschland und seine Nachbarn bitten wir Sie, heute nach dieser unverändert gültigen Einsicht zu handeln!" (Brief) -
und geht' großzügig darüber hinweg, daß der Adressat dieses Schreibens seine wirklicher Meriten z.B. durch die Entdeckung der berühmten Raketenlücke der Nato erworben hat. Wo sich Schmidt in Washington sein staatsmännisches Format durch die Anerkennung als Säule im Bündnis beweisen läßt, tragen ihm die Friedensfreunde ihre 800000 Unterschriften als Mittel und Aufforderung an, wieder als Friedenskanzler deutsche Weltgeschichte zu machen. Eine eigenartige Gegnerschaft gegen den Krieg: ihre Opposition heißt für die Ideale sein, die zu einer Vorkriegspolitik dazugehören.