Info
Dieser Artikel ist in der MSZ 4-1981 erschienen.
Parteien
EIN REGIERUNGSWECHSEL WIRD VORBEREITET
Man muß sich das einmal vorstellen: Nicht daß die Parteien den Anschein erwecken würden, den Leuten mehr oder weniger Gutes zu tun - und sei es nur die schöne Annehmlichkeit, besser oder schlechter für Ordnung zu sorgen; nicht daß ein heftiger Streit um die Güte sozialer, liberaler oder christlicher Grundwerte stattfände; nicht einmal daß aufgerüstet wird und man das Volk behutsam auf seine Versaftung im Kriege vorbereitet, hat dazu geführt, daß das Ansehen und der Bestand der Regierungskoalition in Mißkredit geraten sind. Nein, ob der NATO-Doppelbeschluß auch wirklich doppelt gilt und wieweit die Bundesregierung für die Glaubwürdigkeit dieser beiden Teile der westlichen Aufrüstung geradestehen kann, soll entscheiden, wie lange die Regierung noch hält. Der Kanzler hängt an der Durchführung dieses Beschlusses in beiden Teilen: "Damit stehe oder falle ich." Genscher so ähnlich.
Wenn der Regierungswechsel stattfindet, wird die Koalition nicht aus innenpolitischen Gründen "gekippt" sein. 1981 entscheidet sich die Parteienkonkurrenz über die deutsche Außenpolitik - schon die Wahl 1980 hatte den "Frieden" zum Hauptthema. Der "Mut zur Zukunft" der SPD will sich mit Friedenspolitik in Vorkriegszeiten bewähren:
"SPD und FDP sind unserem Volk schuldig, den Kern ihrer Gemeinsamkeit zu erfüllen, der dritte wichtige Abschnitt muß nun auf militärischem Gebiet getan werden, damit Aussöhnung und Frieden in Europa vollendet werden." (Egon Bahr)
Auf demselben Felde "arbeitet" die Opposition "für eine menschliche Zukunft", also an ihrer Machtübernahme:
"Während sich die Amerikaner Gott sei Dank wieder der Außenpolitik und auch ihrer Bedrohung erinnern, regiert in weiten Teilen der Sozialdemokratie die Hoffnung, man könne durch Wegwünschen und Parteiresolutionen die Gefahren bannen. Der amerikanischen Wendung zu Führung und Weltpolitik entspricht leider das deutsche Festhalten an Wohlstand als Staatsziel und Entspannung als Ersatzreligion. Das aber ist das sichere Rezept für die sowjetische Hegemonie in Europa." (Helmut Kohl)
Feststeht für alle Parteien die Notwendigkeit der im Bund mit den Amerikanern gegen den Osten beschlossenen Aufrüstung. Als Frage bleibt nur noch, was die Parteien für sich daraus machen.
SPD: Autoritätsverlust...
Mögen auch Kernkraftprogramm, neue Flugplätze oder Verriß von Teilen des sozialen Netzes zum Anlaß genommen werden, daß SPD-Politiker ihr Amt zur Verfügung stellen oder eine Parteibasis einen ihrer Funktionäre absägen möchte. Die Gründe für den Autoritätsverlust der SPD, wie er vor allem im Streit zwischen Regierung und Partei zum Ausdruck kommt, sind dies nicht. Die Differenz sozialdemokratischer Ideale zur Realpolitik sozialliberaler Regierungsarbeit hat dieser Partei nicht geschadet, weil die Politik des Möglichen und Machbaren der vorgestellten Illusion des Sozi-Idealismus Erfüllung verschafft - solange die Regierungsmacht steht und der SPD höhes Ansehen verleiht. Wenn Egon Bahr in traditioneller sozialdemokratischer Umkehrung bemerkt;
"Der Wille zur Gestaltung stand am Anfang, und dazu braucht man den Willen zu Macht.",
dann bestreitet er zwar niemandem in der Partei fehlenden Willen zur Regierungsmacht, aber er hat bemerkt, daß die Zeiten vorbei sind, da sich das genuin Sozialdemokratische im Glanz einer erfolgreichen Regierungspolitik und des großen Kanzlers sonnen konnte. Der, der bisher jeden Zwist schlichtete und alle mit sich als Argument auf Regienngslinie brachte, weil der Erfolg für ihn sprach, verpflichtet heute mit Rücktrittsdrohungen die Genossen darauf, die SPD-Regienng nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Und das ist etwas anderes, nur mehr die sozialdemokratische Machterhaltung und ihre Gefährdung als Argument zu nehmen, als dem Spitzenkanzler zu applaudieren, der die Glaubwürdigkeit der SPD in Person war. Die Größe des Kanzlers hat abgenommen. Weil das Regieren heute so schwierig geworden ist?
"Die eigentliche Krise der Regierungspolitik ist eine Krise der Sachen, eine Krise der Politik dadurch, daß die wirtschaftlichen Dinge noch ein bißchen schwieriger geworden sind, und dadurch, daß es durch den amerikanischen Regierungswechsel zunächst jedenfalls einmal noch etwas schwieriger geworden ist, deutlich (!) zu machen, was aktive Friedenssicherung bedeuten kann in dieser Zeit. Und das schlägt dann manchmal auf den ersten Mann durch." (Willy Brandt)
Die Sache ist die, daß weder Dinge noch die Politik in der Krise sind. Vielmehr ward die souveräne Regienngsmacht des deutschen Kanzlers auf das rechte Maß ihrer Größe zurechtgerückt: Die Amerikaner sagen ihrem Bündnispartner, was er zu tun hat, daß die Entspannung, die Hochzeit deutscher wirtschaftlicher und politischer Größe, zu Ende ist. Und die Deutschen haben mitzumachen und für die Härte des ewigen bundesrepublikanischen Souveränitätsprinzips - festgefügt im westlichen Bündnis - einzustehen. Deshalb wird Antiamerikanismus laut in den Reihen der SPD und auch FDP; deshalb fordern Parteimitglieder den Kanzler auf, mehr Gewicht zu legen auf eine eigenständige, nationale Friedenspolitik.
...Kritik am Kanzler...
Deshalb bleibt die jahrelange heilige Kuh sozialdemokratischer Glaubwürdigkeit - das 10. und damals überhaupt das Argument, SPD zu wählen, war bei der letzten Wahl "Helmut Schmidt" - nicht mehr unangetastet. Er ist es jetzt, der die SPD unglaubwürdig macht mit seinem Nachrüstungsalterswerk am Arsch der Amerikaner. Der große Erfolg des Sieges Schmidt über Strauß wird von Partsigenossen des Kanzlers ziemlich relativiert: "Wir haben nicht Strauß gestoppt, damit Schmidt jetzt als Befehlsempfänger Reagans amerikanische Politik macht." Doch kann man die Nörgeleien am Kanzler, die Voten zur Revision des Nachrüstungsdoppelbeschlusses nicht verwechseln mit einer Kampagne zur Reinhaltung der SPD als Reform- und Friedenspartei von unsozialen Tendenzen und antifriedlichen Abwegen. Alle Kritiker des Kanzlers und der Regierungspolitik, mag ihr sozialdemokratischer Idealismus auch noch so ehrlich daherkommen, zweifeln letztendlich am Erfolg der SPD, wenn sie so weitermache. Es paßt also gut zusammen, wenn die SPD-Linken sich von einer Rücktrittsdrohung ihres Kanzlers stark beeindrucken lassen und in persönlichan Erklärungen darlegen, weshalb sie trotz Bedenken für den Kanzler stimmen - und so zum x-ten Male die alte Gepflogenheit sozialdemokratischen Scheindissidententums wiederholen - und wenn andere wie Eppler, Mathiessen in ihrer Person der Glaubwürdigkeit als Politiker alle Ehre machen. Sie rechnen nicht mehr damit, daß die sozialliberale Koalition noch lange dauert, bezweifeln, ob die nächsten Wahlen noch gewonnen werden, und treten zurück, weil sie gewisse politische Entscheidungen nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinbaren könnten. So basteln sie mit mutigem Opportunismus an ihrer weiteren politischen Karriere - in der Opposition, wo sie dann die Männer der Stunde sein werden wollen.
...neue Glaubwürdigkeit in der Opposition
Ob der verblassende Glanz der SPD in Bonn mitsamt ihrem Kanzler auf Länderregierungen negativen Einfluß hat und die SPD-Parteien dort in Mitleidenschaft zieht oder umgekehrt Probleme der Landesparteien der sozialliberalen Koalition in Bonn den letzten Rest geben, ist wirklich wurscht. Das demokratische Gesetz, das auf Grundlage der Emanzipation der Politik und auch der Parteienpolitik vom (Wähler)volk gilt, ist, daß eine Partei dann Erfolg hat, wenn sie Erfolg hat. Eine Wahlniederlage in Berlin, der Frontstadt mit dreißigjähriger SPD-Herrschaft; der Rücktritt Kloses in Hamburg, weil dieser verantwortliche Politiker mit seiner Kernkraftmasche für ihn günstigere Zeiten der SPD anvisiert; Börners Schwierigkeit, atomare Wiederaufbereitungsanlage und Flugplatz in Frankfurt bei seinen Genossen als nicht schädlich für die Aussichten der SPD anzubringen, dabei die FDP bei der Stange zu halten - überall dort gelten die Querelen, Rücktritte und Sorgen von Parteimitgliedern um den Ausgang der nächsten Wahlen als Anzeichen für den schwindenden Erfolg der Partei. So daß es leicht sein kann, daß in irgendeinem Land der Anlaß gemacht wird, daß in Bonn die Koalition zerbricht: nicht weil sich die "Sehnsucht nach der Opposition" wie eine Krankheit breitmacht; auch nicht wegen der Bundesratsmehrheiten, sondern weil nicht wenige Genossen partei- und karrierebewußt künftige Wablniederlagen, bzw. den Ausstieg der FDP gleich vorwegnehmen.
FDP: Methodiker des Regierungswechsels
Die FDP besitzt ihre Liberalität darin, nicht im geringsten mehr aus einem weltanschaulichen Unterschied gegenüber den Sozis und Christen - etwa durch Liberalität? - Kapital zu schlagen. Sie ist die Partei der Methode des Regierungswechsels, was man volkstümlich auch "Umfallerpartei" nennt. Die Rede vom "Überlebenskampf" der FDP enthält die Wahrheit, daß die Mannschaft um Genscher und Verheugen obne Regierungsveranwortung und ohne für einen großen Partner potentielles Mittel der Regierungsmacht zu sein, blöd dastünde. Also ist die FDP offen, was aber nicht ganz problemlos ist. Steigt sie nur mit Eckwerten liberaler Politik ohne Sistierung dieser angeblichen Mitte nach links oder rechts in eine Wahl ein, kann das leicht das Ende des Dreiparteiensystems bedeuten. Koalitionsaussagen hinwiederum sind auch nicht mehr "wasserdicht", wie Verheugen meint. Der SPD traut man so recht keinen Erfolg mehr zu und mit einem Schlag auf die CDU zu setzen, birgt für die liberalen Wechselpolitiker das Risiko mit den 5% in sich, Verheugen sucht noch nach einer Lösung:
"Wir müssen eine Frage beantworten: Wie schaffen wir Klarheit über unsere Absichten, ohne das ganze System (?) funktionsunfähig zu machen."
Zu verkünden: 'Wir wollen irgendwie an der Macht bleiben!', scheint ein wenig zu plump zu sein. Ansonsten sind aber schon Lösungen in Sicht, exemplarisch in Westberlin: Man stützt in feiner Arbeitsteilung die Regierung der CDU, hält sich also offiziell an die Wablaussage, obne daß gleich Neuwablen kommen und bleibt offen für ein späteres wirkliches Bündnis mit der CDU. Überhaupt erscheint den Liberalen ibr Bestes dadurch gegeben, schon vor anstehenden Wablen in der Regierung (mit der CDU) zu sitzen, um mit dem liberalen Regierungsbonus liberale Stammwechselwähler binden zu können. Annäherungsversuche an die CDU in Rheinland-Pfalz und das Kalkulieren mit einer eventuellen Niederlage Börners bei seinen Genossen in Hessen -
"SPIEGEL: Im Klartext: wenn in Bonn weiterregiert werden soll, darf in Hessen nicht gewechselt" (wer macht das denn) "werden.
VERHEUGEN: Ja!" -
sind allesamt Zeichen dafür, daß die FDP das Handwerk des politischen Opportunismus beherrscht, wenn sie überlegt, wie sie weiter einen Fuß in der Regierung hat, wenn sie wechselt.
CDU/CSU: Die Stunde der Opposition
Die Opposition sieht ihre Stunde kommen. In Erwartung ihrer Machtergreifung nimmt sie die Überlegungen der FDP gern zur Kenntnis, genauso wie den Streit innerhalb der Sozialdemokraten, deren Kanzler sie Führungsschwäche vorwirft. Wie es sich für eine Opposition gehört, belegt sie Punkt für Punkt, wer den Beinahe-Staatsbankrott verschuldet hat, wer die Verteidigungsfähigkeit und -bereitschaft untergräbt und wer das angebliche "Anspruchsdenken" zu verantworten hat. Argumente sind das allemal fürs Volk, das es für höchst nebensächlich hält, was denn die Entscheidungen der Regierung und die Kritik der Opposition daran für es bedeuten. Im Wissen darum, daß es die Opposition nicht viel anders machen würde, sollen sie nur zur Kenntnis nehmen, daß die C-Gruppen in Bonn aufsteigende Linie zeigen, während bei den Sozialliberalen nicht alles in Ordnung ist. Da zieht doch noch das Sachargument: "Es ist Schluß, machen Sie Schluß!" (CDU/CSU). Die Überzeugungsarbeit, die zurückkommt: "Wir wären in einer miserablen Situation, wenn wir euch brauchten, um aus einer Patsche herauszukommen. Um Gottes willen!", kann natürlich als Hinweis auf den Zustand der SPD gewertet werden.
Sachargumente der 80er Jahre
In der Konkurrenz um die Macht sind die Parteien unter sich. Sie legen die Methoden und Kriterien fest, die sie zum Mittel ihrer Durchsetzung machen wollen. Die Friedenspolitik der USA hat den Kanzler kleiner werden lassen, den Schein der Fortsetzung der bisherigen Entspannungs- und Friedenspolitik möchte die SPD aufrechterhalten. Anständige Kriegsvorbereitung ohne den Schein von (angeblicher sozialdemokratischer) Schwäche vor dem Osten, ohne jeden Zweifel an der Freundschaft zum Großen Bruder setzt die Opposition dagegen. Unter dem Vorzeichen "ordentliche Kassenführung" läßt sich auch aus Kriegsvorbereitung ein Punkt für die Opposition machen.
Die Entwöhnungskuren und Maßnahmen, das soziale Netz von jungen, arbeitslosen, alten Schmarotzern des Staates bzw. ihrer eigenen eingezahlten Gelder zu befreien, wie der Beschluß, den sozialen Frieden noch billiger zu gestalten, sind es nicht, die die CDU/CSU in der Gunst der Leute an Ansehen zunehmen läßt, während deswegen der SPD die Bürger davonliefen. "Mut" oder "Feigheit" in Sachen Armutspolitik für die 80er Jahre sind die gewinnenden Kriterien, die sich Regierung und Opposition an den Kopf werfen, wobei jede Seite die Gerechtigkeit des Opfers vom Volk überbietet. Das wäre ja keine Demokratie, wenn die Politik und die Parteienlandschaft davon abhinge, was man vom Staat zurückbekommt oder nicht. Die gemeinsame Ansicht der Gemeinsamkeit aller Demokraten, den Leuten den Gürtel enger zu schnallen, läßt sich höchstens für die Opposition noch so ausnutzen, daß sie gerade nicht an der Regierung ist, wenn's mehrheitlich beschlossen wird:
"Die sollen jetzt erst einmal die notwendigen Grausamkeiten machen. Danach nehmen wir ihnen den Stift aus der Hand." (CSU-Waigl)
Zynismus? I wo, Parteienpolitik bester Methode, Sachargumente der 80er Jahre.
Wenn der Regierungswechsel stattgefunden hat, ist die parteienpolitische Landschaft erst einmal wieder in Ordnung. Denn sie paßt dann in die heutige politische Landschaft. Die SPD lebt wieder auf in der Opposition, kann auf Frieden machen und an die heile Welt ihrer Regierungszeit erinnern, da man noch per Entspannung gen Osten zog. Eppler, Mathiessen, Klose und Politiker ähnlichen Kalibers übernehmen die Führungsrollen der Partei, die sie anvisiert hatten, als sie aus Gewissensgründen ein wenig zurücktraten. Die FDP wird schon noch irgendwo Macht mitmachen, wenn sie sich nicht verkalkuliert. Sonst sind immer noch in der CDU oder bei den Sozis liberale Nischen übrig, in denen sie schweren Herzens das Ende der FDP überstehen. Die CDU/CSU setzt die Aufrüstungspolitik der Sozialliberalen Koalition fort, mit Verantwortungspazifismus und ohne "Ersatzreligion" (bis auf die christliche) und Verwöhnung. Dafür bittet sie dann nicht nur um Eure Stimme.