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Dieser Artikel ist in der MSZ 5-1981 erschienen.
MEDIZIN UND KRIEG
Der bundesdeutsche Staat plant seinen nächsten Krieg. Das schließt ein: Er kalkuliert dessen Kosten, nicht nur an Tornados und Rolands, an Sold und Betriebsstoffen. Sondern auch an Menschenleben und Gesundheit und was zu tun ist, damit ihm möglichst lange eine kampffähige Truppe zur Verfügung steht. Ein Realismus der Vorsorge, der durchaus das Attribut zynisch verdient.
In dieser Kalkulation kommt auch der Medizinerstand vor, an gewichtiger Stelle. Schließlich kommt es im Krieg beiden Seiten darauf an, das Menschenmaterial ihres Gegners kampfunfähig zu schießen. Was ist da wichtiger als ein Gesundheitswesen - im Krieg heißt es dann Sanitätsdienst -, das die kaputten, aber noch lebensfähigen menschlichen Überreste der geschlagenen Schlachten wieder zusammenflickt? Das Interesse des Staates, die wiederhergestellten Leichname erneut in den Kampf zu schicken, deckt sich da sogar nahtlos mit dem - ausgerechnet! - Überlebensinteresse der Opfer; und deswegen auch mit Ethos und Pathos des Medizinerstandes, für nichts und niemanden als für den leidenen Menschen da zu sein. Grund genug, meinen wir, einiges Mißtrauen zu fassen gegen eine Standesethik, die darauf verpflichtet, helfen - aber vom dem Grund der Hilfsbedürftigkeit und dem ausschlaggebenden Zweck der Hilfe nichts wissen zu wollen. Grund genug, meinen wir, einem Staat die treuen Mediziner- und Sanitätsdienste aufzukündigen, der so brutal 'Gesundheit' als 'Brauchbarkeit für mörderische Zwecke' vorbuchstabiert und jeden Heilerfolg als Grundlage für erneute Zerstörung will, herstellt und benutzt. Und unseres Erachtens kein Grund, gegen die wirklichen staatlichen Zwecke deren Idealismus des "Helfens und Heilens" hochzuhalten; kein Grund, in dem verzweifelten Glauben an eigentlich bessere Absichten des demokratischen Staates dessen praktischer Politik dort einen Widerspruch vorzurechnen, ausgerechnet, wo ihr Ziel ganz unübersehbar zutage tritt. Denn wie will man den befohlenen Zynismus des staatlichen Heilungsdienstes bekämpfen, wenn man ihn in letzter Instanz doch lieber nicht für möglich hält?
Den Initiativen kritischer Mediziner gegen den Atomkrieg und ihren Sympathisanten wollen wir daher folgendes zu bedenken geben:
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Wenn ihr sagt, "Bei diesen Dienstvorschriften (des Gesundheitssicherstellungsgesetzes) ist typisch, daß dabei die Front- und Arbeitsfähigkeit die allein ausschlaggebenden Kriterien sind...", dann seid ihr auf die brutale Wahrheit gestoßen, daß der Staat Gesundheit und Leben der Leute unmittelbar für sich zu vernutzen gedenkt, um sein Kriegsziel durchzusetzen. Deshalb veranstaltet er alle Maßnahmen zur Wiederherstellung von Gesundheit auch nur für diesen Zweck und mißt sie an ihm.
"Die Ärzte sollen im wesentlichen im Sichtungsverfahren, der Triage, ausgebildet werden", eben weil der Staat mit der optimalen Organisation des Militärs auch und gerade ein Gesundheitswesen unterhält, das seine Leute zur Fortsetzung des Krieges wieder mit dem dafür nötigen Quantum Gesundheit ausstatten soll, sie sichtet und dann wieder zusammenflickt oder sterben läßt, ganz nach dem Kriterium der Tauglichkeit für ihn. Daß Gesundheit in der Pflicht bersteht, sie nach Maßgabe der maßgeblichen nationalen Zwecke vernutzen zu lassen, diese brutale Gleichung des bürgerlichen Lebens wird im Krieg durch den Staat in Extremform verwirklicht: Wer zu ihrer Erfüllung keine Tauglichkeit mehr besitzt, bekommt sie nicht.
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Ihr bemerkt selbst: "Im Atomkrieg sollen nur noch diejenigen behandelt werden, bei denen es sich noch 'lohnt'" - um dagegenzusetzen: "Mediziniiche Hilfe ist unmöglich." Von wegen! Es ist doch viel härter: Medizinische Hilfe, wie ihr sie versteht, ist einerseits gar nicht mehr vorgesehen (und was man nicht will, um dessen Möglichkeit kümmert man sich dann natürlich auch nicht), um andererseits damit so viel herauszuholen wie überhaupt noch möglich. Das ist der wirkliche High Noon des staatlichen Gesundheitswesens: Bei so massenhafter und radikaler Benutzung des Lebens der Bürger gibt es zu tun wie noch nie also "packen wir's an!" Um das noch benützbare Quantum an Kriegstauglichkeit wiederherzusteUen, muß das Gesundheitswesen in allen seinen Teilen bis zum letzten angespannt werden, und das Ethos der Hilfe bekommt Stoff jede Menge!
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Ihr urteilt selbst: "Mediziner würden sich damit wieder zum Handlanger der Politik machen." Wie kommt ihr dann aber auf die kritisch gemeinte Fortsetzung: "Ein Atomkrieg würde die Ärzte und das medizinische Hilfspersonal vor unlösbare Probleme stellen" -? Der politische Zweck, für den ihr im Atomkriegsfall vorgesehen seid und zu dessen "Handlangern" ihr euch machen sollt, kennt euer "unlösbares Problem" doch überhaupt nicht! Im Gegenteil: Ihr seid die "Lösung". Und wenn ihr vor der Massenhaftigkeit des Elends verzweifelt, das ihr sortieren und betreuen sollt, dann läßt das den Veranstalter des Ganzen kalt, oder es ist ihm sogar recht und er gibt euch noch ein paar ermuntemde Sprüche mit auf den Weg - wenn ihr um so engagierter euren Dienst verseht. Für den Staat gibt es euren Widerspruch zwischen Krieg und Medizin nicht, ganz im Gegenteil! Für ihn paßt das sehr logisch und notwendig zusammen: Seine Bürger planmäßig verheizen - und eine "Vorsorge" treffen, von der ihr selber richtig sagt: "Ziel des Sicherstellungsgesetzes ist es, das Gesundheitswesen soweit vorzubereiten, daß eine Anordnung genügt, es total auf Kriegsmedizin umzustellen."
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Wenn ihr meint: "Ein Atomkrieg ist die letzte Katastrophe für Mensch und Natur", dann habt ihr erst recht ein anderes Problem als der Staat, der ihn plant. Mit der - euch wohlbekannten! - Perfektionierung seiner konventionellen wie seiner atomaren Waffen tut auch der bundesdeutsche Staat doch alles, um den Krieg zur "letzten Katastrophe" nicht "für Mensch und Natur", sondern für seinen Feind werden zu lassen. Totale Vernichtung ist sicher nicht sein Zweck - die braucht man ihm also auch gar nicht auszureden. Das hindert ihn aber überhaupt nicht; beflügelt vielmehr die Phantasie seiner Strategen und Militärtaktiker, die "Versaftung" einiger in- und auswärtiger Menschenmassen als Mittel zum Sieg zu planen, minutiös vorzubereiten und in die Tat umzusetzen, wenn es darauf ankommt. Ihr meint, das letztere könnte ein Staat nicht wollen? Da ist der Feind, gegen den die Kriegsplanung und -vorbereitung läuft, realistischer als ihr: Der bereitet sich jedenfalls auf alles vor!
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Kriegshandwerk und Sanitätsdienst gehören zusammen wie siamesische Zwillinge. Auch und erst recht im Zeitalter des Atomkriegs. Wenn der Staat Waffen entwickeln läßt, die die Wiederherstellung des getroffenen Menschenmaterials möglichst unmöglich machen sollen - des feindlichen, versteht sich -, dann kümmert er sich auch um Fortschritte des ärztlichen Hilfsdienstes - für die eigenen Opfer. Das ist die Absurdität eures Berufes und kein Widerspruch zwischen Gesundheitswesen und Militär.
Umgekehrt: Ein Widerspruch dicksten Ausmaßes ist es, die Einrichtung des Kriegsgeschehens nach Maßgabe der verfügbaren Sanitätskapazitäten und der "medizinischen Möglichkeiten" zu verlangen. Damit wird der Zynismus staatlicher Gesundheitsvorsorge für den "Verteidigungsfall" doch nicht zurückgewiesen, sondem moralisch auf den Kopf gestellt - also zu allem Überfluß noch verrückt!, -
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Die Forderung: "Atomwaffen sind für uns als Mittel des politischen und militärischen Kalküls kompromißlos abzulehnen", sollte man sich als Kritiker der bundesdeutschen und westlichen Kriegsplanung also doch noch mal überlegen. Meint ihr denn wirklich, eine Abschaffung der Mittel staatlicher Gewalt wäre zu haben ohne Abschaffung der Zwecke, für die sie da sind? Wenn ihr euch wirklich nicht zu Handlangern der nationalen Kriegsbereitschaft machen wollt - das ist billiger nicht z u haben.
P.S.
Der Eifer, das bloß medizinische Ethos eures Protests herauszustreichen, nützt euch in der bundesdeutschen Öffentlichkeit sowieso nichts - obwohl es dem Protest die Schärfe nimmt! - In den Verdacht, Kommunisten und vom Feind unterwandert zu sein, kommt ihr auf alle Fälle.
Deutsches Ärzteblatt Kontra ,Ärzte warnen vor dem Atomtod'
Ein faschistisch aigumentierender Gegner garantiert leider nicht, daß die angegriffene Partei Recht hat. Er zeigt vielmehr, worauf man sich beim Kampf gegen die Kriegsvorbereitung der NATO nicht berufen sollte.
1. Auf das ärztliche Helferethos - Die Standesorganisation der Ärzte kehrt dessen zynische und reaktionäre Seite ohne Verfälschung des Ideals heraus:
"Die Parole 'Ärzte warnen vor dem Atomtod' unterstellt, daß es besondere ärztliche Gründe gäbe, gerade vor atomaren Energien zu warnen. Solche besonderen ärztlichen Gründe gibt es nicht. Die Schlagzeile '...Ärzte warnen vor dem Knollenblätterpilz' hat keine geringere ethische Dimension. Die Zahl der Gefährdeten, Leidenden und Sterbenden ist für die Qualität des ärztlichen Auftrags ebenso irrelevant, wie die Ursachen der Gefährdung und Verletzung von Leib und Leben es sind."
Klar, wer die Gründe der Schädigung bloß in Betracht zieht, geht über die Aufgabe des Arztes hinaus - und relativiert seine Bereitschaft zum Zusammenflicken: Also
"muß der Hamburger Aufruf zur Sabotage ärztlicher Pflichten nicht nur als Propaganda ideologischer Fremdenleginnäre demaskiert, sondern als Aufforderung zu zutiefst moralischer, unärztlicher und menschlicher Verweigerung ärztlicher Hilfeleistung verteilt werden."
2. Wer sich im Krieg nicht verheizen lassen will, sollte sich nicht auf seine Sorge um die deutsche Bevölkerung berufen. Das Ärzteblatt hat, wie sonst noch niemand in der BRD, offen dargetan, daß das deutsche Volk lebt, wenn die Menschen für es sterben:
"Was heißt denn, daß die 'deutsche Zivilbevölkerung bei einem Atomkrieg ohnehin keine Überlebenschance' habe? Hat die deutsche Zivilbevölkerung denn ohne Atomkrieg eine Überlebenschance? Nimmt man 'Bevölkerung' als Summe aller heute Lebenden, so hat davon mit oder ohne Atomkrieg in keinem Falle irgend jemand eine Überlebenschance. Aber es sterben nicht alle auf einmal! Schon griechische Philosophen haben... gefragt, ob es sich in Gemeinschaft schwerer sterben lasse als allein."
"Nimmt man als 'deutsche Bevölkerung' das den einzelnen überlebende deutsche Volk, so ist dessen Überleben wahrlich noch von ganz anderen Gefahren bedroht als einem Atomkrieg." (Deutsches Ärzteblatt, Heft 40, 1.10.1981)