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Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1981 erschienen.
Armut in den USA
WAS MAN IN DER BRD DAMIT ALLES ANFANGEN KANN
Die deutschen Meinungsmacher haben ihr Herz fürs Elend entdeckt; und gleich finden sie Leute wie Alice Fisher - "46, geschieden, 4 Kinder, Fürsorgeempfängerin" - oder Karen Jerry - "29jährige Farbige, 4 Kinder, Fürsorgeempfängerin mit Hungerlohn und staatlichen Zuschüssen, zukünftig Wohlfahrtsempfängerin" (Spiegel, Stern) - als Bebilderung für Hunger und Elend ausgerechnet im reichsten Land der Welt.
Damit wollen sie aber nicht einfach gesagt haben, daß es gemein ist, wie drüben Reichtum und Armut so gut zusammengehen. Dann, hätte man ja auch hierzulande einiges zu vermelden, statt sich speichelleckerisch um die Wiedergabe von Politikersprüchen zu bemühen, wonach immer noch ein Sparprogramm des Kanzlers nötig ist, damit wir alle wieder auf die Beine unserer Wirtschaft kommen bzw. das soziale Netz noch etliche Löcher kriegen muß, soll es nicht ganz zerreißen.
Daß Alice Fisher sich kein Bier leisten kann, ohne ihren Kindem das Fleisch zu streichen, ist eine Zeitungsmeldung wert,
- weil sie sich so schön mit Nancy kontrastieren läßt, die im Weißen Haus auf chinesischem Porzellan servieren läßt, ihrem Ronnie gelbe Cowboy-Stiefel besorgt und für dies und anderes massenweise Dollars ausgibt;
- weil zugleich Ronald Reagan verkündet, "Amerika müsse endlich zu den wahren gottgegebenen Werten eines einfachen Lebens zurückkehren."
Nun will man sich nicht daran stören, daß ein Millionär sein Geld auch ausgibt; aber hier handelt es sich um den Präsidenten der USA in schweren Zeiten. Die Botschaft lautet daher: der Reagan samt Nancy und sonstiger millionenschwerer Regierungsclique ist ein übler Heuchler. Wo er den Massen seiner Landsleute Hunger und Elend verordnet - eine Tatsache, deren Notwendigkeit jeder Pressemann gerne einsehen will -, führt er sich selber so auf, daß das Elend besonders krass ins Auge fallen muß.
"In den Zeitungen prallen die unterschiedlichen amerikanischen Welten täglich mit solchem Mißklang aufeinander wie lange nicht. - Amerikanischen Schülern mögen künftig die Mägen knurren,... im Weißen Haus ist von Sparsamkeit wenig zu spüren."
Die Schlußfolgerung aus diesem heuchlerisch angestrengten Vergleich führt zu dem Resultat, wofür er angestrengt wurde: "Reagans Amerika - ein Land für die Reichen" oder "Ein Präsident für bessere Kreise" ist der schwere Vorwurf an Reagan, daß er für seine Regierungsepoche die Insignien der Macht zu golden glänzen läßt, weil er nicht mit dunkelblauem Paletot und Helgoländer Lotsenmütze rumrennt.
- Da sollten sich die Herren und Damen Meinungsmacher doch mal entscheiden: Bei Carter störte sie das Provinzielle des Südstaatlers, der angeblich ungelenke Umgang mit der Macht, der an Konfektionskleidung und Einladungen zum Tee statt zu Dinners von chinesischem Pornellan in Erscheinung getreten sein soll;
mit Reagan dagegen sollen jetzt die Südstaatler den sündhaften Luxus nach Washington gebracht haben. Kaum jubilieren darüber die öffentlichen Amis, "die Zeit der Pappbecher sei vorbei" - als ob es eine solche für diese Sorte Amis je gegeben hätte -, da bejammern die hiesigen die "Instinktlosigkeit", mit der nun (!) Reichtum als Luxus konsumiert würde, wo es doch auf der politischen Tagesordnung steht und deshalb zu gelten hat, daß es sich der Normalo noch mehr kosten lassen muß, seinen Staat zu unterhalten. Da fragt sich die deutsche Presse scheinheilig, ob man das nicht klüger anstellen kann: müssen diese Amis denn ihren Reichtum so "ungeniert" zur Schau stellen, wenn gleichzeitig von den anderen erhebliche Opfer verlangt werden müssen.
"Millionen von Amerikanern sehen einem Winter von Entbehrungen entgegen (durch) Reagans erzkapitalistisches Experiment, das Land durch Wegschlagen der 'Wohlstandskrücken' wieder 'an die Arbeit' zu kriegen."
Drüben waren das nämlich gar keine Wohlstandskrücken. Anders "als in anderen westlichen Wohlfahrtsstaaten" - wo immer schon des Guten zuviel getan wurde und deshalb auf amerikanisches Niveau zurückgeschraubt werden muß -, sind die social cuts in Amerika nicht Maßnahmen einer anständigen Demokratie, sondem bösartigster Kapitalismus, weil sie roh und ohne jedes Feingefühl vorgenommen werden. (Da wollten doch Reagan und seine Mannschaft für das durchaus ehrenwerte Anliegen, die Sozialausgaben zu kürzen, bei Mensaessen Ketchup zu Gemüse erklären lassen, nachdem es ohnehin überall als Gemüseersatz gefressen wird. Zur Genugtuung der deutschen Presse wollten sich diese Mißachtung ihrer Würde auch die Amis nicht gefallen lassen.)
"Ohne Skrupel nimmt die neue Regierung in Kauf, daß ausgerechnet im Mutterland der Menschenrechte der Überlebenskampf bei den Schwächsten künftig (?) am härtesten sein wird." - als wären die Schwächsten jemals andere als die, deren Überlebenskampf am härtesten ist.
Da hatte der bundesdeutsche Reporter wohl im Ohr, wie der regierende Helmut hierzulande mit gedämpfter Stimme kundtut, daß es ihm wahnsinnig schwerfällt, selbiges durchzusetzen. So vom Mitgefühl seines Kanzlers für die verwöhnt, denen dessen Maßnahmen schlecht bekommen, kritisiert er vehement die amerikanische Regierung, sie solle doch die von ihren Ahnvätern in die Welt gesetzten Ideale mal selber ernst nehmen und nicht einfach so skrupellos verkünden, daß ihnen bei drop-outs jegliche Unterstützung als Verschwendung gilt. Diese ungehobelte Umgangsweise soll insbesondere daran liegen, daß der Reagan als Persan nicht die Eigenschaften für das Oberhaupt einer Demokratie mitbringt: er führt einen "Kreuzzug" mit geringem geistigen Rüstzeug. Statt einem aufgeklärten Rationalismus, der ihn befähigen würde, eine Leistungsbilanz van einem Kandinsky zu unterscheiden, folgt Reagan einem plumpen "schwarz-weißen Weltbild", das aufgeklärtere Figuren nur für "Humbug" halten könnten. Er hat eine Vorstellung von einem modernen Staate, als wäre das noch Frühkapitalismus oder gar Feudalismus; da gilt das "Zurschaustellen als Reichtum als soziale Tat,... (wo) die Armen sich noch nicht einbildeten, ein Anrecht auf Unterstützung zu haben, sondern bescheiden mit der Mütze in der Hand ihr Almasen aus der Hand wahltätig Gesinnter entgegennahmen."
Wo sich der Reagan samt seiner Regierung so haarsträubende Vorstellungen über die Führung eines Sozialstaates macht,
"ist es deshalb vorauszusehen, daß die Beschneidung der Sozialausgaben das Defizit im Bundeshaushalt nicht stopfen, sondern hochtreiben wird - weil der Anreiz zu arbeiten in den untersten Einkommensschichten keineswegs steigt, wie die Ideologen der Reichen glauben."
Nachdem versäumt wurde, mit "Informationen der Bundesregierung" "das Verständnis für die getroffenen Entscheidungen zu vertiefen" (Originalton Bonn), scheint es deutscher Journaille bedenkenswert, daß mangelndes Verständnis die Regierungsmaßnahmen durchaus behindern könnte: "Was ist, wenn die amerikanischen Bürger ihre vom Staat geschenkten (!) Steuergelder nicht zum Investieren oder Sparen verwenden, sondern zu gedankenlosem Konsumieren? Sicher, einige wollten tatsächlich sparen, aber da war auch die Frau, die in aller volkswirtschaftlichen Unschuld bekanntgab, daß sie dank Reagan ihrer Katze jetzt Dosenfutter kaufen könne statt der ewig preisgünstigeren Trockennahrung."
Wo hiernulande der Kanzler nur schweren Herzens tut, was er tun muß, sind die amerikanischen Politiker dagegen instinktlose, ungehobelte und deshalb gefährliche Machtgeier. Angesichts solcher Abgründe versteigt sich die deutsche Journaille zu der Unterstellung, daß solchen Politikern das Leben hierzulande schwer gemacht würde, denn etwas Feingefühl darf das Volk ja wohl für sich beanspruchen.
Das Komische erscheint ihnen da nur, daß die amerikanischen Massen mitziehen, wenn ihnen ihre Regierung so kommt:
"Und zweifellos nimmt es das Volk dem Präsidenten der Reichen immer noch ab, wenn er im Fernsehen versichert, daß seine Sparmaßnahnien lediglich Schwindler und Schmarotzer aus dem System eliminieren sollen" (das wäre nämlich gute sozialstaatliche Sitte!), "während das Sicherheitsnetz für die wahrhaft Bedürftigen erhalten bliebe."
Des Rätsel Lösung lautet also: die Amis sind eben, schon weil sie Amis sind, unglaublich naiv und bilden sich ein, sie hätten an ihrem Ronnie so etwas wie wir an unserem Helmut.
Wer da mehr für eine intellektuelle (V)Erklärung ist, kann sich von Gregg Easterbrook im "Spiegel" über die "republikanische Seele" aufklären lassen:
Psychologisch richtig erfaßt bedeutet die Entscheidung des amerikanischen Präsidenten, so souverän mit der Armut umzugehen, einen "großen inneren Widerspruch", der neuerdings von vielen Amis empfunden werden soll: Das Gute anerkennen, das schlechte verdrängen in gewissem Maße tut das natürlich jeder. Dennoch scheint dieser Mechanismus in der neuen 'republikanischen' Welle besonders ausgeprägt zu sein." Er meint: Leute mit solcher Seele behandeln das Leben als Idylle trotz aller Härte der Realität - wo locker in eins fällt, wer sich die Idylle leisten kann, weil er die Härte der Realität für andere besorgt. "Die nostalgische Sehnsucht nach der guten alten Zeit" verklärt dann die Gegenwart und ergibt einen ganz neuen Kriegsgrund:
"Es erklärt, wichtiger noch, wie die Republikaner künftig womöglich Entscheidungen über Kriege treffen... mit dem Vorsatz, daß die Greuel des Kampfes gar nicht existieren",
und das ist bei Reagan besonders "beunruhigend", hat er doch im Krieg nur an Filmen teilgehabt: "Der Tod passierte nur vor der Kamera."