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Tarifrunde '82
WEDER QUANTITATIV NOCH QUALITATIV
"Darin liegt ja das eigentliche Ungleichgewicht in unserer Gesellschaft: Die Gewerkschaften müssen auf gesellschaftliche Veränderungen drängen und können daher leicht als Unruhestifter dargestellt werden." (Vetter 1981 auf dem Bundeskongreß)
Die deutsche Gewerkschaft hat ihre Linie für die Tarifrunde '82 präsentiert. Als "Unruhestifter" hat sie deswegen noch niemand entlarvt. Eher herrscht in der Öffentlichkeit Befriedigung darüber, daß der DGB laut eigener Aussage, "zu Dingen bereit ist, die ihnen (den Gewerkschaften) weh tun", nämlich zum "Reallohnverzicht" (Süddeutsche Zeitung vom 9.11.81 ). Die MSZ ist in der glücklichen Lage, ihren Lesern über die "Vorstandsvorlage der Abteilung Tarifpolitik zur Klausurtagung", berichten zu können. Daran läßt sich ausgiebig studieren,
was die Gewerkschaft will,
wenn schon "keine Schlagsahne auf die Torte" (Steinkühler). Unter der Überschrift "Tarifpolitische Notwendigkeiten auf mittlere Sicht" heißt es
"Die mittelfristigen Aufgaben der Tarifpolitik werden wesentlich durch die steigenden Risiken und Gefahren für Einkommen, Beschäftigung, Qualifikationen und Arbeitsbedingungen der Metall-Arbeitnehmer bestimmt."
Man sollte meinen, die aufgeführten Taten der Kapitalisten seien der Existenzgrund der Gewerkschaft und nicht gerade "mittelfristig". Warum werden sie hier in ihren üblen Wirkungen, nämlich jedes Fitzelchen Arbeiterleben zu gefährden, aufgeführt? Genau zum entgegengesetzten Zweck: Die Taten des Kapitals sollen den gewerkschaftlichen Kampf schwieriger machen. Wer als Arbeiterzusammenschluß aber ausgerechnet die Taten des Gegners zur Schwierigkeit, gegen sie vorzugehen, erklärt, der trägt seinen Willen, sie zu tolerieren, als Sachzwang bzw. "Notwendigkeit" vor.
"Ohne entsprechende Druckausübung, so stellt sich die tarifpolitische Ausgangslage heute (!) dar, ist immer weniger zu erreichen; nicht einmal die Sicherung des sozialen Besitzstandes."
Das ist unbestreitbar wahr und schon immer. Verräterisch bloß, daß das "heute" als Argument für irgendetwas zählen soll. Die ganzen Hinweise auf die Schandtaten des Kapitals, daß es "schwieriger wird, die einkommens- und verteilungspolitischen Forderungen durchzusetzen", daß die Kapitalisten "verstärkt darauf ausgehen, den Ausgleich der Preissteigerungsrate zu verweigern", ja sogar, daß die "Diskussion im Lager von Gesamtmetall (übrigens genauso wie im DGB) nicht in Richtung auf die Schwächung der Zentrale, sondern (man denke!) auf die Stärkung von Gesamtmetall" ziele -, diese ganzen Hinweise bedeuten also, daß die Gewerkschaft ihre "Aufgaben" davon "bestimmen" lassen will.
Die Frage, die sich die Gewerkschaft stellt, ist ja nicht: Was ist heute vordringlich zu tun für unsere Mitglieder und wie ist das durchzusetzen? Die funktionsmäßigen Verwalter der Interessen ihrer Arbeiter und Angestellten machen vielmehr die Taten der Unternehmer und deren Folgen für die Mitglieder zum theoretischen Material der Methode, sich für diese Tarifrunde eine eigenständige Priorität zu erfinden. Hier werden nicht einmal mehr die Folgen kapitalistischen Wirtschaftens für die Arbeitnehmer beklagt (anstatt gegen sie anzugehen); nicht mehr wird auf die "unverschämte" Härte der Unternehmer geschimpft (anstatt selbst hart iu bleiben). Selbst das Gejammer und die aufgeblasene Schuldfrage gehören heute der Vergangenheit an. Für die angeblich mittelfristig so wichtigen Aufgaben der Gewerkschaft sollen der Schaden der Arbeiter und die Unnachgiebigkeit der Arbeitgeber Bedenken abgeben, weshalb die Gewerkschaft diese ihre Aufgaben nicht auf die Tagesordnung zu setzen gedenkt.
Aber damit nicht genug. Für die Demonstration der Schwierigkeit, sich eine aktuelle Tarifpolitik auszudenken, nimmt die Gewerkschaft ihre bisherigen großartigen tarifpolitischen Leistungen her und schafft es, damit die "eigentlich" wichtigen Forderungen vom Tisch zu diskutieren.
"Das oft benutzte Stichwort von der 'qualitativen' Tarifpolitik darf nicht dazu herhalten, falsche AIternativen zwischen 'bloß' 'quantitativer' und 'qualitativer' Tarifpolitik herzustellen. ...
Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden drohende (!) Realeinbußen durch Preissteigerungen und erhöhte Abgaben die Tarifpolitik unter Handlungsdruck bei der Festlegung tarifpolitischer Prioritäten in den anstehenden Tarifbewegungen setzen. Dies kann zu Zielkonflikten führen im Hinblick auf die gleichzeitige Einbeziehung und Durchsetzung der über Lohn und Gehalt hinausgehenden tarifpolitischen Zielvorstellungen."
Wem sagt sie dies eigentlich? Wer außer ihr selbst hat denn jemals die "Alternative quantitativer und qualitativer Forderungen" aufgemacht und sich damit von der Gewerkschaft als Lohnmaschine entschieden distanziert? Außerdem will die Gewerkschaft ja sowieso nicht den Fehler, eine Forderung nach weniger Arbeitszeit prozentmäßig von der Lohnforderung abzuziehen (als wären nicht beide nötig), beseitigen. Im Gegenteil: Sie spricht gleich wieder davon, "Prioritäten " setzen zu müssen, und deswegen in einen "Zielkonflikt" zwischen Lohn- und anderen Forderungen zu geraten. Was will sie denn, wenn man sowohl keine Alternative aufmachen soll, als auch zugleich eine aufmacht? Weder - noch: Eine quantitative Forderung ist schlecht, weil dann gibt es ja keine qualitative, das wäre ja eine Alternative, und eine qualitative geht nicht, weil ja die quantitative eh schon schwierig ist.
Genauso bezüglich der Arbeitszeitverkürzung: Zunächst wäre sie nötig "als Ausgleich für wachsende Arbeitsbelastungen", die als ganz selbstverständlich angenommen werden. Denn:
"Forderungen zur Verkürzung der Arbeitszeit können soweit die Wochenarbeitszeit betroffen ist, frühestens ab 1984 gestellt werden",
weil bis dahin die letztjährige Tarifabmachung läuft. Wieder wird ein Faktum, diesmal die vorletztjährige Gewerkschaftspolitik mit dem grandiosen Einstieg in die 35-Stunden-Woche, die - wie sie hier selbst hinschreibt die 40-Stunden-Woche bei ständig erhöhter Arbeitsbelastung bis 1984 festgeschrieben hat (und das noch auf Kosten der damaligen Lohnforderung), als Schranke der eigentlich nötigen Forderung vorgeführt. Aber gar nicht in dem Sinn: Das haben wir verspielt. Stattdessen: Arbeitszeitverkürzung wäre nötig. Wir können (!) es aber nicht fordern. Ja, aber. Punkt.
Schließlich der "Hintergrund" bezüglich der "kurzfristigen Alternativen mit Blick auf die Tarifbewegung 1981/82":
a) "Grundsätzlich wird mittelfristigen Forderungen stärkeres Gewicht eingeräumt werden müssen..."
b) "Zu bedenken ist aber: - schon die Sicherung der Realeinkommen zu erreichen, wird in der Tarifbewegurig 1981/82 erneut auf große Schwierigkeiten stoßen... Jede zusätzliche Forderung, die mit Kosten verbunden ist (!), verringert den Spielraum für Lohn- und Gehaltserhöhungen.
- Die zu den mittelfristigen tarifpalitischen Persptktiven genannten Forderungen lassen sich in der anstehenden Tarifbewegurig nicht stellen, weil die entsprechenden Tarifverträge noch nicht kündbar sind..."
Die Logik: Mittelfristiges soll vorrangig gefordert werden, aber schon die Sicherung des Bisherigen wird nicht gehen, außerdem geht das Mittelfristige eh nicht.
Der Höhepunkt:
"Jede zusätzliche Forderung von einigem Gewicht muß daraufhin überprüft werden, wie groß zu ihrer Durchsetzung das wahrscheinliche Risiko" (Risiko!) "eines Arbeitskampfes ist. Finanzielle Mittel, die jetzt bei einem Arbeitskampf eingesetzt werden, fehlen bei den mittelfristtg anstehenden Auseinandersetzungen um eine neue Entgeltdifferenzierung, die Arbeitszeitverkürzung und die Humanisierung der Arbeit."
Das ist schon witzig: "Fehlen" tun doch gewerkschaftliche Mittel höchstens dann, wenn durch einen Streik nichts herausgeholt worden ist. Mit dieser Logik geht ein Streik nie: Denn man kann das Mittelfristige nicht fordern, weil dann nicht einmal die Sicherung des Bisherigen bliebe. Umgekehrt kann man aber auch jetzt keinen Arbeitskampf führen, weil sonst geht ja wieder das Mittelfristige nicht. Resultat (Ganz schön für einen Verein, der keine falschen Alternativen aufmachen wollte):
Wenn qualitative Forderungen, entfällt Spielraum für quantitative und umgekehrt;
Wenn mittelfristige Forderungen, entfällt Spielraum für kurzfristige und umgekehrt;
Was kann man also fordern? Weder noch!
Die neue Gewerkschaftslinie besteht also darin, gar keine neue aufzumachen. Gegenüber früheren Jahren, in denen man z.B. mit weniger Lohn und 40-Stunden-Woche in die 35-Stunden-Woche einstieg, weil 'nicht mehr drin war', pflegt die Gewerkschaft jetzt die Art, überhaupt keine Forderung als würdig, sich von ihr etwas zu versprechen, aufzustellen. Ihr neuer Realismus besteht darin, für jegliche mögliche Forderung ein Für und Wider aufzumachen, wobei jedes 'Wider' alle Argumente 'für' zu (Un-)Möglichkeiten herabsetzt. Nichts wird vorbehaltlos zur Forderung erklärt. Die es jeweils sein könnte, kann nichts versprechen, man weiß ja vorher, wie relativ sie zu sehen ist. Die Argumente des Gegners sind damit voll akzeptiert - als "Schwierigkeit" rangieren sie in der Methode der aktuellen Prioritätenfindung. Bisherige Tarifrunden oder Forderungen der Gewerkschaft erhalten ihre späte Rechtfertigung - als Unmöglichkeit, sich über sie hinwegsetzen zu können, sind sie jetzt ein gutes Argument. Die Gewerkschaft erklärt die ganze Tarifrunde zu ihrem Problem, ein Thema, ein Motto für sie zu finden. Sie ist also weit darüber hinaus, ihr "Anspruchsdenken" abzustellen. Wenn sie fern aller wirklichen Probleme, die die Mitglieder haben, die Leistungen der Arbeitgeber gegen die Arbeitnehmer zum positiven Argument macht für die aufgemachte Schwierigkeit, eine Tarifforderung zu finden; wenn sie ihre eigenen bisherigen Leistungen - mit dem Eingeständnis, daß sie für die Arbeiter und Angestellten nichts gebracht haben - als Argument gegen akutuelle Forderungen in die Debatte wirft, dann hat die Gewerkschaft höchstens ein Problem: mit welchem Thema sie die Verantwortung der deutschen Gewerkschaft in Szene setzen kann. Zum Inhalt einer Tarifrunde wird gemacht, wie sie sich am besten und am besten für die Gewerkschaft begründen ließe. Das dreht sich um sie selbst und um sonst gar nichts.
Tarifrunde - ein Problem ihrer Themenwahl
Also stellt sich für die Gewerkschaft "die Frage nach den denkbaren Forderungsmöglichkeiten im Hinblick auf die Tarifbewegung 1981/82".
Denkbar wären "Strukturveränderungen zugunsten der unteren Lohngruppen". "Die Notwendigkeit und die Berechtigung dieser Forderung steht außer Frage", sagt die IG Metall und stellt sogleich klar, daß heutzutage der traditionelle Gerechtigkeitsbonus der Gewerkschaft veraltet ist, also höchstens noch denkbar:
a) Wir geben dafür gern zu, daß bei dieser Forderung bisher nichts erreicht wurde:
"Demgegenüber sind die praktischen Erfolge in den vergangenen Tarifbewegungen eher kritisch zu betrachten. Soweit Einmalbeträge und Pauschalen durchgesetzt werden konnten, bewirkten sie nicht die angestrebte dauerhafte Veränderung der Entgeltrelationen."
Das darf nicht als Selbstkritik mißverstanden werden. Was früher einmal recht und billig, schade heute der Gewerkschaft:
"Erneut aber eine solche Forderung zu stellen und keinen (!) nachvollziehbaren Erfolg zu erreichen, ist auf Dauer organisationspolitisch schwer zu verkraften."
b) Wir bezweifeln das Vorhandensein der Solidarität; die wir bisher dafür immer gefordert haben:
"Darüberhinaus muß davon ausgegangen werden, daß der Versuch, stärkere Anhebungen zugunsten der unteren Lohngruppen zu erreichen, zu geringeren Erhöhungen im Bereich der oberen Lohngruppen führt (wer führt das denn herbei?). Dieser Weg ist nur dann erfolgreich zu gehen, wenn bei den Arbeitnehmern, die in den oberen Lohn- und Gehaltsgruppen eingruppiert sind, eine entsprechende Bereitschaft zu Solidarität besteht."
c) Vielleicht läßt sich die Sache besser regional auf Eis legen:
"Kurzfristig ist zu prüfen, ob sich die Probleme der unteren Lohngruppen nicht verstärkt im Rahmen regionaler Lohnrahmen- bzw. Manteltarifverhandlungen angegangen werden können."
d) Überhaupt geht das nicht ohne Arbeitskampf - wer will den schon?
"Daraus folgt, daß für ihre Durchsetzung das Mittel des Arbeitskampfes einkalkuliert werden muß... Die Forderung sollte angesichts dieser Ausgangslage nach Möglichkeit (?) nur unter der Voraussetzung aufgenommen werden, daß die IG Metall notfalls (!) auch bereit ist, zum letzten Mittel des Arbeitskampfes zu greifen, wenn auf andere Weise kein nachvollziehbarer Erfolg zu verzeichnen ist. Anderenfalls sollten aus Glaubwürdigkeitsgründen nicht Hoffnungen geweckt werden, die letztlich nicht eingelöst werden."
Damit ist das schlagendste Argument genannt. Der Einwand heißt doch glatt: Man sollte nur Forderungen aufstellen, die man auch durchsetzen will - und wenn man das nicht will, dann sollte man es lieber lassen! Wie könnte nun eine Forderung aussehen, die nichts verspricht, den Arbeitgebern nichts abzwingen will, also sie nichts kostet, gleichzeitig der "schwierigen Lage" der Staatsfinanzen angemessen ist und darüberhinaus so tut, als wäre sie ein Beitrag zur Lösung von Beschäftigungsproblemen? Gemäß dieser gewerkschaftlichen Logik ist man auf der Klausurtagung tatsächlich auf die Idee einer möglichen Forderung gekommen, die die Prioritäten der aktuellen gewerkschaftlichen Politik auf den Begriff bringt:
"Tarifrente 60"
Dieser Vorschlag "Vorziehen der Altersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung durch Tarifvertrag" wird schon mit 3 Gründen dafür und 10 Bedenken dagegen eingeführt! Eine eigentümliche "Initialzündung", von der feststeht, daß kein Arbeiter etwas davon hat!
1. soll sie "dazu beitragen, gute" (muß ein Druckfehler sein) "Beschäftigungsprobleme zu mindern." Bloß: Wer hat etwas von einer "Beschäftigung", bei der er froh sein kann, nicht Frühinvalide zu werden, und die ihn für einen solchen Lohn beschäftigt, daß er sie den Rest seines Lebens betreiben muß?
Außerdem weiß die Gewerkschaft ganz genau, daß die Kapitalisten kein "Beschäftigungsproblem" haben - schließlich schmeißen sie die Leute heraus - und deswegen auch überhaupt keinen Grund, weil sie günstig ein paar Alte losgeworden sind, deswegen Jüngeren Arbeit zu verschaffen. Die Gewerkschaft schreibt selbst, daß es kaum noch Arbeitnehmer dieses Alters im Betrieb gibt und daß die Kapitalisten mit der 59er-Regelung längst selbst für deren Ausstieg sorgen, wenn 'die Beschäftigung' das nicht schon geleistet hat:
"Nahezu leder zweite (!) Arbeitnehmer verläßt mittlerweile als Fiühinvalide vorzeitig den Betrieb."
Sie führt also wieder als Bedenken auf, daß ihre Forderung für niemand gut ist, bzw. daß sie voll zum Interesse des Betriebs paßt, lohnende Arbeitsplätze einzurichten, die Alte gar nicht mehr aushalten. In dankenswerter Offenheit schildert sie ihre Mitwirkung bei der 59er Regelung ("ein großes Sozialpaket für Schichtarbeiter", "So will der IG-Metall-Chef den Lebensabend verlängern", Bild am Sonntag vom 25.10.81) so:
"Schon heute ist ein großer Teil der älteren Arbeitnehmer gesundheitlich so geschädigt, daß sie das Alter nicht mehr gesund erleben können. Der verstärkt vorangetriebene Prozeß der Arbeitsintensivierung zieht die Gefahr (!) der Entstehung von gesundheitlich Angeschlagenen, vorzeitig Verschlissenen und Frühinvaliden auf erhöhtem Niveau nach sich."
Das imt schon blanker Zynismus, einen Frühverrentungsvorschlag mit dem Argument zu begleiten, daß man diese Rente wahrscheinlich eh nicht oder nur ziemlich kaputt erreicht. Aber jetzt kommt's erst:
"Raubbau an der Gesundheit und vorzeitiger Kräfteverschleiß führen gleichzeitig zu steigendeo volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kosten (!) für die Allgemeinheit."
Tote und Krüppel - geschenkt! Aber daß Renten- und Krankenversicherungskosten entstehen - das geht zu weit!
2. soll die Forderung bei "älteren Arbeitnehmern" "populär" sein. Na klar, wenn man einer Gewerkschaft angehört, die gegen die obengenannten Schönheiten des Arbeitslebens keine Abhilfe schafft, dann geht man gern mit einer Abfindung. Das ist natürlich ein Klasse-Grund: Weil wir die Leute so fertigmachen lassen, freuen sie sich über unsere neue Forderung, daß sie abhauen dürfen! Und die "Arbeitnehmerschaft insgesamt" sei dafür, weil "es ermöglicht, jüngeren Beschäftigten, die anderenfalls um ihren Arbeitsplatz fürchten müssen, die Arbeit zu sichern." Dies als Bedenken:
"Die Beschäftigungseffekte werden zusätzlich dadurch verringert, daß keine Gewähr besteht, daß für ältere Arbeitnehmer, die vorzeitig den Betrieb verlassen, entsprechende Neueinstellungen vorgenommen werden. Meist ist die vorzeitige Verrentung ausdrücklich ein Anpassungsinstrument zum Abbau der Belegschaft. Im Ergebnis wird mit verringerter Beschäftigtenzahl das gleiche Produktionspensum wie vorher erbracht."
Welche Offenheit! Wir haben es uns ja schwer gemacht, aber ihr Kapitalisten haltet euch eh nicht dran! Dann können wir auch nichts machen.
3. ist die Gewerkschaft für Frühverrentung, weil sie "schließlich das Sozialversicherungssystem bzw. die Allgemeinheit finanziell entlasten soll."
Na klar: Deswegen würden sofort die Beiträge wieder gesenkt! So war es gar nicht gemeint? Die "Allgemeinheit" ist nämlich die BRD-Staatskasse, die deswegen furchtbare Schwierigkeiten haben soll, weil sie das soziale Netz streichen will. Der DGB und die IG Metall haben also den grandiosen Einfall, ihren Gegensatz zum Kapital als Streit um die Aufbesserung der Staatsfinanzen zu führen. Sonst könnten sie ja "die Allgemeinheit" schlicht durch höhere Lohnforderungen "entlasten".
Dabei schreiben sie wiederum selbst hin, daß sie das Kapital nicht einmal dazu zwingen wollen: Es ist nämlich "bei einer solchen Forderung zu bedenken:...
"Letztlich darf dabei nicht übersehen werden, daß der Unternehmer diese Lasten (!) über die Preissetzungsmöglichkeiten volkswirtschaftlich auf die Gesamtheit abwälzt."
Das ist vielleicht eine "Entlastung der Allgemeinheit", daß die Arbeiter anf Kosten anderer Forderungen die Kapitalisten dazu bringen, dem Staat etwas zu zahlen, was sie sich bei den Arbeitern wieder holen! Das müssen wir "bedenken", sagt die Gewerkschaft und bezeichnet damit alle ihre Angriffe auf die Kapitalisten wegen ihrer mangelnden Preisdisziplin als obsolet, weil (!) die Gegenseite sich nicht daran hält. Einerseits spricht sie vom "Abwälzen" und damit klar aus, daß es sich die Kapitalisten - wenn es überhaupt Lohnerhöhungen gibt - leisten, die Preise um diesen Betrag (und mehr!) zu steigern; andererseits sieht sie sie dazu durch die erhöhten Lohnkosten gezwungen. Auch das ist neuer Realismus: Weil der Gegner sich preislich (mangels gewerkschaftlicher Hinderung!) alles geleistet hat, deswegen ist es so und nicht zu verhindern. Das heißt, daß die Gewerkschaft die Auffassung vom
Lohn = Kosten
ohne Umschweife praktiziert. Hat sie früher einmal die Lohn-Preis-Spirale angegriffen, hat sie dann den Lohn als Kaufkraft propagiert, also auch nicht gerade den Nutzen ihrer Mitglieder, sondern den Lohn als Absatzchance für die Kapitalisten - von beidem ist nicht mehr die Rede. Hat sie letztes Jahr die Kapitalisten zur Preisdisziplin angesichts der niedrigen Lohnabschlüsse aufgefordert und so den Lohn als Grund für die Preissteigerung behandelt - so ist jetzt auch die damit verbundene Aufforderung gestrichen. Dieses Jahr wendet sie gleich dreimal gegen ihren wahrlich billigen Tarifrentner ein, daß er sie teuer zu stehen komme:
"Die Verkürzung der Wochenarbeitszeit und der Lebensarbeitszeit ist keine Alternative. Im Hinblick auf die aktuelle tarifpolitische Ausgangslage bei der anstehenden Tarifauseinandersetzung aber wird die IG Metall politisch entscheiden müssen, ob ein solcher Preis (!) gezahlt werden soll, wenn auf diesem Wege das Ziel der Herabsetzung der Altersgrenze durch Tarifvertrag erreicht werden kann."
Wenn man sich eine Forderung etwas kosten läßt, muß man der Auffassung sein, daß sie eine Zumutung für den Gegner ist, die man ihm entgelten muß.
"Die Durchsetzung dieser Forderung wird unvermeidlich Rückwirkungen auf die Erhöhung der Löhne, Gehälter und Ausbildungsvergütungen haben." - und gleich nochmal ganz prinzipiell:
"Werden Forderungen wie die Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze, die sich bislang an den Gesetzgeber richteten, auf tarifpolitischem Wege zu erreichen versucht, geht dies mittelfristig zwangsläufig zu Lasten von anderen wichtigen tarifpolitischen Zielbereichen."
Die schönen Alternativen:
Tarifrentner gegen Lohnforderungen
Tarifrentner gegen Wochenarbeitszeitverkürzung
Tarifrentner gegen alle übrigen mittelfristigen Forderungen,
beruhen auf dem alten Prinzip (der Lohnfondstheorie des alten Malthus), daß der Lohn der Ausbeutung notwendig begrenzt zu sein hat, soll das volkswirtschaftliche Geschäft funktionieren. Ein Punkt, den die Öffentlichkeit mit Genugtuung registriert:
"Wichtig, wenn nicht wichtiger, ist auch, daß der Gewerkschaftsvorsitzende sich selbst und seine Organisation mit in das Verantuortungstableau für den Beschäftigungsgrad aufgenommen hat. ... Vetter sieht vielmehr, daß es einen Zusammenhang zwischen Beschäftigung und Lohnhöhe gibt. Und er ist ganz offensichtlich bereit, das Niveau der Reallöhne in der kommenden Verhandlungsrunde zur Disposition zu stellen. Er ist bereit, Lohnabschlüsse unterhalb der Inflationsrate hinzunehmen, wenn (!) dafür die Zahl der Arbeitslosen schnell sinkt." (Hans D. Barbier, "Süddeutsche Zeitung" vom 9.11.81)
Wenn man mit dem Tarifrentner 6 0 alles andere abschmettert, mit einer Forderung also, die von vornherein sich als Begleitmaßnahme kapitalistischer Rationalisierung und Staatskassenentlastung vorstellt, von der sich die Arbeiter eh nichts versprechen können und sollen, dann hat die ganze Strategie den puren Zweck, die gewerkschaftliche Zuständigkeit für einen sozialpolitischen Titel zu reklamieren. Dieser Verein leistet also dieses Jahr seinen nationalen Beitrag nicht mehr in der Form, daß er mit volkswirtschaftlichen Daten Lohnsenkung betreibt. Er trägt die offen ausgesprochene Lohnsenkung gleich als sozialpolitischen Programmpunkt; den e r gemeistert haben will, vor. Denkbar ist nämlich alles, was dem Kapital nicht schadet, dem Staat hilft und der Gewerkschaft zu Ansehen verhilft. Die Mitglieder braucht man dafür nicht zu fragen, sie haben als gewerkschaftliches Fußvolk zur Kenntnis zu nehmen, welche Ehre ihnen gebührt. Wie sagte Steinkühler neulich:
"Es geht heute um mehr als nur den Pfennig. Es geht auch um die Ehre von Millionen, die dieses Land aufgebaut haben." (8.11.81 in Stuttgart)
P.S.
Derselbe Steinkühler polemisiert derzeit ziemlich erfolgreich gegen den Tarifrentner als Tarifrundenthema, weil er auch unabhängig von ihr durchzusetzen sei. Gegen den restlichen IG Metallvorstand, der "das Faustpfand des Lohnes" für die Tarifrente einsetzen will, ist er der Meinung, daß der "Reallohnsicherung nahezukommen" bereits ein "qualitatives Ziel" sei, das schwierig genug zu erreichen sei (Frankfurter Rundschau vom 19.11.81). Dafür soll der "Druck", der für den Tarifrentner angeblich massiv bereitsteht, auf einmal nicht langen!
Daß die Gewerkschaft jetzt eventuell den allen so eminent wichtigen Tarifrentner, den zugleich jeder erfunden haben wollte, sein lassen will, zeigt zweierlei:
Einmal hat er seinen Dienst in der Öffentlichkeit und in der gewerksichaftlichen Selbsteinstimmung auf die Lohnsenkung schon getan. Versprechen sollte man sich ja eh nichts von ihm. Er kann also auch wieder gehen.
Zum anderen kann man sich die "reine Lohnrunde", die ebenso "qualitativ" sein soll wie der Tarifrentner, genau vorstellen!