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Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1981 erschienen.

Systematik

Rede auf der Schlußkundgebung
GEGEN BRD-IMPERIALISMUS UND NATO-WELTHERRSCHAFT

Gut 7.000 Teilnehmer waren dem Aufruf der MARXISTISCHEN GRUPPE zu einer Demonstration "GEGEN BRD-IMPERIALIS'MUS UND NATO-WELTHERRSCHAFT" gefolgt. Im Gegensatz zur Hofberichterstattung der freien deutschen Presse vermochte diese Demonstration in der hausgemachten BRD-Friedenspolitik nichts Begrüßenswertes zu entdecken: "DEUTSCHE FRIEDENSPOLlTiK: HETZT GEN OSTEN, PLANT DEN KRIEG!" Und im Unterschied zu manchen kritischen Stimmen bezüglich des Bonner Hochrüstungskurses wollte sie auch die verantwortlichen Macher aus dem Kanzler- und Auswärtigen Amt nicht mit einer billigen Phrase entschuldigen, sie könnten leider nichts anderes, als Reagan gegen ihren ausdrücklichen Willen beschlossen hat. Es steht schlimmer: "WAS HITLER NICHT GESCHAFFT, MACHT DER SCHMIDT MIT NATO-KRAFT!"

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Ein feines Zeugnis von "Friedenswillen" haben sich die Anwälte der Freiheit da einfallen lassen mit ihrer "Null-Lösung". Getreu der Überzeugung, daß ein Feind ohne Waffen die beste Friedenssicherung darstellt, hat sich der amerikanische Präsident ein Angebot ausgedacht, das nicht einmal der "Gewaltherrschaft" jenseits des Ural eine Handhabe bietet, es "auszunützen". Denn dieses Angebot, dessen Urheberrecht die Herren Friedenspolitiker in Bonn reklamieren, lautet schlicht und einfach: "Wir verhandeln mit euch über Eure Abrüstung!" Ohne auch nur einen Finger gerührt zu haben und mit einem entschlossen vorgetragenen Willen zur Aufrüstung, die auf Jahre hinaus geplant und bereits eingeleitet ist - die einschlägigen Zahlen der US- und der anderen NATO-Haushalte gibt die freie Presse des Westens täglich wieder - ergeht an die Sowjetunion die unversöhnliche Aufforderung: "Jetzt seid ihr am Zug!"

Eine feine Bereitschaft zum Verhandeln. Der Osten soll seine weltpolitische Unschuld mit dem Eingeständnis beweisen, daß seine Waffen eine höchst überflüssige Sache darstellen; er soll sie also im Austausch gegen ein Potential, das der Westen seinem bereits vorhandenen erst noch hinzufügen will, wegschmeißen, und wenn er das nicht tut, so hat er den endgültigen Beweis dafür angetreten, daß die Schuld an der "Kriegsgefahr" bei ihm liegt. Verhandelt im Sinne wechselseitiger Zugeständnisse soll da überhaupt nichts werden, vielmehr wird dem Kreml die Botschaft zugestellt, daß man ihn nur als unterlegene und nachgiebige Weltmacht zu würdigen gedenkt. Und ein freier Westen, der so verfährt, soll sich in einer Position der Unterlegenheit befinden? Man stelle sich nur einmal vor, die Sowjetunion hätte, statt ihre Mittelstreckenraketen aufzustellen, für die Unterlassung dieser ihrer Todsünde von der NATO verlangt, ihre umweltfreundlichen Atom-U-Boote zu versenken und die Bundeswehr aufzulösen!

Und auch die andere wohlfeile Lüge mögen wir nicht glauben: daß der Sowjetunion im Namen und Interesse der von ihr unterworfenen Menschen das Recht bestritten wird, ihre Sorte Wirtschaft und Volksherrschaft zu verteidigen. Um die Bedrohung eines Staates samt Zubehör mit dem größten Militärpotential der Geschichte zu rechtfertigen, ist das Mitgefühl mit den Opfern dieser fremden Herrschaft ganz bestimmt das verlogenste Argument. Als wäre ausgerechnet den westlichen Gebietern einer mit Elend und Gewalt reichlich ausgestatteten Weltwirtschaft die Androhung des Atomkriegs als Ersatz für eine Revolution in den Sinn gekommen! Den Verwaltern des auf fünf Kontinente sich erstreckenden Edens der Menschenrechte gilt die Weltmacht Nr. 2 aus ganz anderen Gründen für untragbar!

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Warum eigentlich ist die Sowjetunion der "Hauptstörenfried" auf der Welt? Wobei stört sie denn den freien Westen?

Daß die "freie Welt" den Nahen und Mittleren Osten als ihre Ölquelle betrachtet und behandelt - daran hat die Sowjetunion sie nie gehindert. Daß der gesamte Rest der Welt nach dem harten Gesichtspunkt der Brauchbarkeit von Land und Leuten für westlichen Reichtum durchgemustert und benutzt wird - dagegen ist die Sowjetunion nicht eingeschritten.

Daß im Namen von Demokratie und Menschenrechten die blutigsten Diktaturen militärisch ausstaffiert und politisch gestützt werden, wenn sie nur "unseren Interessen" nützen - dagegen hat die Sowjetunion kaum einmal einen matten Protest eingelegt.

Daß, Grundlage des Ganzen, die Techniken der Ausbeutung im "freien Westen" ihre höchste Blüte erreichen - einen Protest dagegen, geschweige denn einen Aufstand hat die Sowjetunion noch nirgends angezettelt. Daß die NATO-Staaten sich als "Weltwirtschaftsgipfel" aufführen, der über allen Reichtum dieser Erde verfügt, und daß sie sich als "Weltpolizist" verstehen, der überall die gültigen Interessen schützt - dagegen ist die Sowjetunion nie eingeschritten. Wobei stört sie dann den Westen?

Erstens: Mit ihr kann die "freie Weltwirtschaft" nicht nach Gutdünken verfahren sie ist die große Ausnahme. Sie ist durch militärische Drohungen nicht nach Belieben zu erpressen - also eine einzige Störung. Sie könnte eine Gefahr für die gelungene "Weltordnung" aus "freier" und "dritter" Welt sein - also ist sie der Feind des Weltfriedens. Das ungehinderte Schalten und Walten in einer Welt, die der Westen als seine "Interessen- und Einflußsphäre" behandelt, die Freiheit des Westens eben ist es, der die Sowjetunion mit jedem ihrer wirklichen und möglichen weltpolitischen Schritte in die Quere kommt. Und vom Standpunkt dieser Freiheit aus ist eben alles, was der Osten unternimmt, höchst verwerflich.

Zweitens: Inzwischen stört nur noch die Sowjetunion selbst die Weltordnung aus westlichem Geschäft und westlicher Gewalt. Welche "Einflußsphären" wollen die NATO-Staaten ihr denn noch abjagen? Angola vielleicht, das sein Öl an die USA verkauft? Oder Afghanistan, das der Westen für einen dauerhaften blutigen Kleinkrieg gegen die Sowjetunion herrichtet? Nein, solche Konfrontationen sind nach den Zeiten der "Entspannung" nur noch nebensächlich. Der Westen hat längst ein größeres Ziel im Visier. Die Sowjetunion soll ihre eigene Macht dem weltweiten Geschäfts- und Gewaltmonopol des Westens unterordnen. Die Konkurrenz gegen den Osten hat ihre Wirkung getan; jetzt ist dem "Weltstörenfried" die Kapitulation angesagt. Oder was soll man sich sonst vorstellen unter "Totrüsten", unter den "letzten Kapiteln des Kommunismus", unter der Parole, der Zusammenbruch der SU solle vonstatten gehen, nicht mit einem großen Krach, sondern mit einem Winseln"?

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Klar: solche Töne hört man von bundesdeutschen Chefpolitikern noch selten - im Unterschied zu ihren hochverehrten Kollegen. Ist deswegen die BRD aber auch schon gleich ein weltpolitisches Unschuldslamm, wie ihre Führer glauben machen wollen? Ein "ehrlicher Makler" zwischen unverständigen Gegnern? Die erste und einzige Friedensmacht auf dem Globus, die sich nur durch stärkere Mächte zu der einen oder anderen weltpolitischen Unfreundlichkeit drängen läßt?

Die Taten ihrer Politiker, die Machenschaften ihrer Geschäftemacher, die Geltungsansprüche ihrer Militärgewalt geben da andere Auskünfte!

Ein Vierteljahrhundert lang hat die BRD mit ihrer Bundeswehr ihren westlichen Verbündeten den Rücken freigehalten für Dutzende von Kriegen kleineren und mittleren Kalibers. So erfolgreich hat sie sich als militärische Bedrohung exklusiv gegen die Sowjetunion bewährt, daß ihren Führern seit ein paar Jahren die Forderung nach einem vollständigen, auch nuklearen "Gleichgewicht gegen die Sowjetmacht das Natürlichste von der Welt ist. Und bloß, weil sie das alle nicht allein, sondern m Bündnis tut, so die BRD ein ungefährlicher Zwerg im militärischen Welttheater sein? Uns scheint es eher umgekehrt zu stehen: ihre Eingliederung ins NATO-Bündnis hat die westdeutsche Militärmacht erst so richtig wuchtig gemacht.

Von Anfang an hat die deutsche Wirtschaft mitgemischt im großen Weltgeschäft. Ihre Industriellen und Kaufleuten war das eige Land von Anfang an in jeder Hinsicht klein für den Reichtum, um den es ihnen geht. Wo der Dollar wirkt, da ist auch bundesdeutsches Kapital am Werk. Ältere Programme, wonach "uns morgen die ganze Welt" gehören sollte, sind mit einer Wucht und in einem Umfang ökonomisch in die Tat umgesetzt worden, wie die faschistischen Eroberer von vorgestern es sich niemals träumen ließen. Und bloß, weil das westdeutsche Kapital dabei auf den Pfaden wandelt, die die USA durch die ganze Welt gebahnt haben; bloß, weil die Ausnutzung ferner Weltgegenden nicht mehr über eine Kolonialverwaltung, sondern als "Kapitalhilfe" abgewickelt wird, deswegen soll das westdeutsche Geschäftsinteresse ein bescheidener Beitrag zum großen "Weltmarkt" sein? Uns scheint es eher umgekehrt. Im Verein mit 6 bis 8 anderen Nationen pflügt der westdeutsche Reichtum die ganze Welt nach seinen Erfordernissen um wie noch nie - und dabei ganze Völkerschaften mit unter. Und an der Verschuldung der Ostblockstaaten, bis hin zur ökonomischen Katastrophe Polens, darf doch gerade die bundesdeutsche Wirtschaftskraft sich Gewinne und Verdienste zugutehalten. Rein nach den Gesetzen eines geordneten Geschäftsganges ist dort dem "realen Sozialismus" seine Auflösung angesagt! Ob das die Welt schöner macht?

Und schließlich: Die hausgemachten bundesdeutschen Weltpolitiker, die sozialliberalen der zweiten Generation zumal, haben praktisch längst jede Bescheidenheit aufgegeben. Sie entwerfen "Friedensordnungen" für Südafrika, ordnen im Rahmen der EG die Zustände am Mittelmeer, verkaufen chinesischen Nationalkommunisten Stahlwerke und Völkerfreundschaft, besichtigen Ägyptens Nachfolgepräsidenten, bevor er sein Amt antritt, regieren in aller Unbefangenheit in Polen hinein, wissen sich für Afghanistan ebenso zuständig wie für Chile oder Kenia und beanspruchen in der EG erfolgreich den obersten Listenplatz. Und bloß, weil sie da überall als Mitmacher der westlichen Weltherrschaft auftreten, sollen sie nicht die verantwortlichen Mitmacher der westlichen Weltherrschaft sein? Uns scheint es eher umgekehrt zuzugeben. Erst und gerade als Teilhaber des vereinigten Imperialismus der "freien Welt" praktiziert die BRD einen eigenen, deutschen Imperialismus, wie kein Bismarck und kein Hitler ihn in äbnlicher Wucht zustandegebracht haben.

Gegen den Osten braucht dieser Imperialismus nicht mit Eroberungsplänen anzutreten. Als Weltherrschaft im Bündnis sind seine Ziele weiter gesteckt. Den Osten als Gegner liquidieren, heißt die moderne Parole. Sicher - neben diesem äußersten weltherrschaftlichen Zweck der BRD wirkt ihre eigene Macht für sich genommen in der Tat bescheiden. Das heißt aber doch bloß: Bescheiden wirkt der BRD-Imperialismus allein neben seinen so außerordentlich unbescheidenen Perspektiven!

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Traurig zu sehen, wie der "Störenfried" Sowjetunion, die "Weltfriedensmacht" ihre Rolle in der von der NATO inszenierten Erpressung spielt. Über Jahrzehnte hinweg hat sie dem Westen auf dem Felde der Waffen Konkurrenz gemacht, als ob sie wie der Imperialismus durch jede erdenkliche Stufe der militärischen Gewaltandrohung und -anwendung "ihren Einfluß wahren" müßte. Dabei hat sie nicht einmal ihren "Einflußbereich" vergrößert und sich ein paar von jenen zweifelhaften "befreundeten Nationen" an Land gezogen, über die der Westen in so großzügiger Weise gebietet - geschweige denn etwas für die Weltrevolution getan, die selbst als Ideal längst für sie gestorben ist. Denn mit ihrer Sorte Weltpolitik war der Sowjetunion bis heute immer nur eines sicher: eine wohlkalkulierte Eskalation von Erpressungen seitens der Weltmacht Nr. 1 und ihrer Verbündeten.

Ausgerechnet bei letzteren, und insbesondere bei den Friedenspolitikern der Bundesrepublik, die längst keine stillen Teilhaber des Imperialismus mehr sind, will Breschnew nun seine Chance entdeckt haben. Diese wittert in der bevorzugten Ideologie westdeutscher Sicherheitspolitik, derjenigen vom "Kriegsschauplatz Europa". Weil die NATO seit ihrer Gründung eine europäische Front gegen Rußland in ihr strategisches Kalkül aufgenommen hat, bewähren sich die Demokraten, die den Frontstaat des Bündnisses so gerne regieren, als die Scharfmacher der "Vorwärtsverteidigung" - und die Staatsmänner der Sowjetunion setzen auf die Bedrohung Europas von ihrer Seite aus. Allen Ernstes verlautet aus Moskau immer wieder die hoffnungsfrohe Berechnung, das Interesse einer westdeutschen Regierung könne es doch unmöglich sein, sich im Rahmen der NATO dem Risiko eines europäisch-russischen Schlagabtausches auszusetzen. In dieser Hinsicht wird der Kreml allerdings ein weiteres Mal enttäuscht werden - das europäische Konzept lautet nämlich sebr einfach und eindeutig: "Weg mit den russichen Waffen! - oder wir verlegen durch ein eurostrategisches Gleichgewicht gleich den Kriegsschauplatz weit nach Osten." Inzwischen hat sich sogar die Friedensbewegung im Interesse der betroffenen Nation darauf besonnen, den Russen die Beseitigung ihrer Mittelstreckenraketen anzuraten.

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Wir sind uns sicher, daß die Sowjetunion sich dieser Erpressung nicht beugen wird - damit rechnen ja nicht einmal die Politiker des freien Westens ernsthaft. Die Führer der NATO haben aus der vorhersehbaren Unnachgiebigkeit ihrer östlichen Feinde längst den Schluß gezogen, den Krieg möglichst perfekt vorzubereiten, damit er auch gewonnen wird. Uns ist anläßlich dieses seltsamen Staatsbesuches nur die Frage eingefallen, die Helmut Schmidt und seine friedliebende freie Presse sicher nicht stellen:

Leonid, was willst du hier?

Die NATO plant den Krieg mit dir!

International Herald Tribune (New York, Paris)

"Sechs verschiedene Demonstrationen wurden in Bonn abgehalten. Ungefähr 12000 Anhänger der ökologischen Bewegung der Grünen demonstrierten für eine kernwaffenfreie Zone in Europa, während an einem anderen Ort in Bonn 4000 pro-sowjetische Marxisten marschierten und in einem Sprechchor riefen: "Was der Hitler nicht geschafft, macht der Schmidt mit NATO-Kraft." (Im Wortlaut die gleiche Meldung auch in "Arab News", englischsprachige Zeitung aus Saudi-Arabien.)

Le Figaro (Paris)

"Die 'Roten' waren vertreten durch die "Marxistische Gruppe Dortmund", etwas mehr als 5000 Anhänger des revolutionären Kommunismus aus mehreren deutschen Universitätsstädten: Ordnung und Disziplin, fest eingeplante Schweigeminuten, korrekte 6er Reihen von suggestiver Wirkung unter roten Transparenten, die der Größe nach abgestuft von den Kadern getragen wurden. Die kleine Armee aus "professionellen Proletariern" skandierte Parolen mit handfester Kritik."

NRC Handelsblad (Rotterdam)

"LEONID, EIN PAAR KRITISCHE WORTE ÜBER DEINE FRIEDENSMISSION"

"Um halb vier am Sonntag nachmittag marschiert die Marxistische Gnppe Dortmund in straffer Disziplin auf der Poppelsdorfer Allee in Bonn. 'Die letzte' seufzt ein Fahrer vom Roten Kreuz,der gelangweilt in seinem Auto hängt. Er blättert seine Liste noch einmal durch und konstatiert zufrieden, daß die anderen zehn Demonstrationen hinter ihm liegen.

Ungefähr 7000 Anhänger hat die Marxistische Gruppe auf die Beine gebracht - die meisten in amerikanischen Freizeitschuhen. Am Wegrand rollen noch ein paar christdemokratische Kundgebungsteilnehmer - gerade zurück von ihrem 500m weiter entfernten Happening ihre Transparente auf. Die Disziplin bei der Marxistischen Gruppe wird problemlos aufrechterhalten. Niemand läßt sich während des kurzen Marsches mit den maßgerecht geschnittenen roten Transparenten provozieren.

Die Marxistische Gruppe ist nicht so einfach zu kategorisieren. Moskau, Peking, Albanien, Trotzki - alles Begriffe, vor denen als orthodoxen Marxisten die Nase rümpft.

Ihr Aufruf an dem Tag, an dem Leonid Breshnew in Bonn ankommen soll, richtet sich zu 95% gegen "USA- und BRD-Imperialismus", aber doch auch eine kleine Andeutung, die lautet: "Leonid, ein paar kritische Worte über deine diplomatische Mission, die den Weltfrieden betrifft, wirst du uns ja wohl zugestehen..."