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Schach-WM in Meran
GUT GEGEN BÖSE AUF 64 FELDERN
Gleich zu Beginn der Schachweltmeisterschaft in Meran deckte die deutsche Presse schonungslos auf:
"Schmutzig! Die Russen spielen mit Menschen Schach!"
Die Analyse saß: Erstens sind die Russen schmutzig, und zweitens spielen Russen gegen Menschen.
Weiß
Wiktor Kortschnoi, der Herausforderer der Russen, ist ein Mensch. Zumindest seit er sich vor fünf Jahren in den Westen freisetzte. Mit all den kleinen menschlichen Schwächen, wie Gefühl, Leidenschaft, Herz und Russenhaß.
Symbolisch Figuren schlachtend zieht er seitdem "kämpfend leidend und leidend kämpfend" über die acht mal acht Felder - gegen "das Böse schlechthin, gegen die Sowjetmacht, gegen den 'Archipel Gulag', ja rückwirkend noch gegen Auschwitz." Ein tragisches, vom Todfeind gebeuteltes, zahnkrankes, 50jähriges Schicksal, von vorneherein den moralischen Sieg in der Tasche. Aber das genügt nicht. Wiktor Kortschnoi muß gewinnen, und zwar gegen die Russen, gegen Karpow ("sein Name verkörpert für mich das Verbrechen der sowjetischen Macht."). Schließlich verlor er 1978 in Baguio gegen Karpow zu Unrecht - sowieso! - und nur deshalb, weil ein Parapsychologe ihn gekonnt bearbeitete, und als Wiktor "ihm den Schädel einschlagen wollte", war dieser begreiflicherweise verschwunden und das Spiel verloren.
Jetzt also, hier in Meran, gilt es.
Ergreifend bringt die ganze exilierte Dissidenten-Creme seinen unschönen Auftrag zu Papier:
"Du mußt versuchen, der kolossalen Maschine des totalitären Staates diesen Sieg zu entreissen. Der Kampf reicht weit über die 64 Felder hinaus, es ist ein Kampf gegen die staatlichen Kerkermeister, die nicht nur deine Frau und deinen Sohn als Geiseln (!) gefangenhalten, sondern die Bevölkerung eines Sechstels der Erde."
Das geht unter die Haut, das gibt ihm Kraft. Haben nicht die Russen ihn in der Sowjetunion ständig am Siegen gehindert - ja tun sie das jetzt nicht weiterhin?
Und als er vor 5 Jahren aus der Kälte kam, haben sie da etwa nicht versucht, "seinen Charakter zu schmälern" - und das gerade sie? Doch "westliche Spieler kennen den Leningrader als einen ruhigen und liebenswürdigen Kollegen", klar, daß der abhaut. Halten die Russen nicht seitdem seine einzige Isabella im Osten fest, oder hätten sie sie nicht entführt, hätte sie im Westen gelebt? Und sein Sohn Igor, hält er sich vielleicht freiwillig in Sibirien auf? Warum respektieren diese Unmenschen nicht Igors freien Willen zur Kriegsdienstverweigerung, nicht für die Russen, sondern gegen sie in den Krieg zu ziehen, wie es sich gehört!
Und da ist es doch wirklich der Gipfel, wenn eine russische Zeitung behauptet, er "habe ihnen 10000 Mark monatlich als Unterhalt geboten, wenn sie in Moskau bleiben", seine Frau und sein Sohn. Wie soll sein Sohn denn in Moskau bleiben, wenn er in Sibirien sitzt!
Keine Frage also: Die Russen gehören exemplarisch niedergemacht. Und wer sollte dazu, die ganze freie Welt hinter sich, eine größere Eignung besitzen als gerade ein solcher Charakter wie Wiktor Kortschnoi.
Leopoldine-Petra Leeuwerik, seine - natürlich ebenfalls - straflagergeschädigte Westgeliebte, weiß, was ihrem Manne gut tut. Ein gerechter Haß will ordentlich gepflegt sein, ist er doch ein charakterliches Gütezeichen. So serviert die stolze Frau ("je mehr Schmutz die auf mich werfen, desto stolzer werde ich") ihrem Haberer, wann immer sich seine Züge vorübergehend entkrampfen ("für Minuten... wie ein harmloser Bonvivant" ), eine Portion "Karpfen blau" "das reicht ihm, das Bild des Feindes in sich wachzurufen, weil Karpow 'Karpfen' heißt, und er's genösse, ihn so von der Platte zu putzen."
Welch ein Charakter, welch ein Mann! Raucht und trinkt nach Herzenslust, hat - mindestens - zwei Frauen, ist bullig, spielt phantasiereich und genial, und seit er im Westen ist, obendrein unberechenbar und aggressiv, und hat ein Buch geschrieben: "Solange keine Politiker neuen Typs auftauchen, die gleichermaßen aggressiv und kompromißlos und bis zur Selbstaufopferung für ihre Sache einstehen, läßt sich der Kommunismus nicht aufhalten." ("Antischach").
Liebevoll nennt man ihn so "den Schrecklichen", der nichts fürchtet außer dem Zahnarzt und dem KGB. Und wenn er mitunter etwas "absonderlich tut und übertreibt", wird die Sorge laut, er schade der Darstellung seines guten Charakters und setze seine "Würde" aufs Spiel.
Schwarz
Zumindest dieses Problem stellt sich dem Feinde nicht, verfügt er doch über keines von beidem. Dieser "eisige, bürokratische, homophile Winzling", Karpow der Karpfen, diese "unterentwickelte Person", der "verhätschelte, handzahme Parteigänger", "Musterschüler" seines Regimes mit seiner "knabenhaften Figur", "körperlich anfällig", "wirkt blaß" und hat "wenig Mut zum Risiko". Kurz: "ein phantasieloses Werkzeug der Sowjetmacht" und deshalb nicht umsonst im Zentralkomitee - ein Bolschwist aus der Retorte.
Was ist das für eine Witzfigur, mit "der Grazie eines Mitternachtsgespenstes", der sich nur scheinbar sanft und adrett gibt, was will das für ein Mann sein, der nicht raucht und nicht trinkt, nur "Schach und den Marxismus liebt", ja, der sich nichts aus Frauen macht ("weiblichen Linien ist er eher abhold"), es mit Läufern und Springern treibt.
Kortschnoi weiß: "Der identifiziert sich mit der Dame! Aber das kommt daher, daß er im wirklichen Leben keine haben kann!"
(Karpow: "Damen muß man nehmen und schlagen!" Das ist ja das Letzte!)
Demgegenüber Wiktors Gespielin: "Wiktor ist ein ganz normaler Mann, und es ist klar, daß er die langen Jahre der Trennung von seiner Frau nicht wie im Kloster verbracht hat." Na klar.
Von "Python" Karpow im Schafspelz gehen beim Schachspiel, in dem er "selber niemals eine Innovation produziert hat", nur zwei Gefahren aus: Der Einsatz seiner Augen und seiner Füße. Doch das ist für Wiktor kein Problem. Die beabsichtigte hypnotische Wirkung der aus seinen Augen sprühenden "sibirischen Kälte", die obendrein den liebenden Vater an seinen schmachtenden Sohn erinnern soll, kontert Wiktor mit einer - Spiegelbrille! Um die "Blicke des Weltmeisters auf diesen zurückzulenken".
Und Kortschnoi weiß, warum er sich gegen die Tiefschläge und Fußtritte des Karpfens durch eine stabile Trennwand unter dem Tische schützen läßt - was spielt es da für eine Rolle, daß der "eher Schmächtige" die stämmigen Schenkel des Exilrussen vermutlich nicht einmal erreichen könnte. Und hatte Karpow im Ernst geglaubt, Kortschnoi würde auf den Trick mit der vergifteten Hand hereinfallen, ihm leichtgläubig die Hand schütteln? Er brüskierte den Russen vielmehr mit einer echten "Solidarnosc"-Plakette, redete ihn als "Bürger" an, eine Anrede, wie sie unter sowjetischen Strafgefangenen gegenüber den Wärtern üblich ist, erklärte dem Fernsehen, er betrachte den "sanften Tolja" als "Jailer of my family" und fand während des gesamten Turniers nur einmal ein persönliches Wort an den Weltmeister:
"Halte still, du kleiner Regenwurm, sonst muß ich dich einen Faschisten nennen!"
Worauf der "faschistische Regenwurm" prompt aus dem Konzept kam und die Partie verlor.
Ja, wenn es nur der Karpfen wäre! Im Hintergrund des Feindes, im Schatten, betreibt ein anderer den eigentlichen "Vernichtungskrieg" gegen ihn (und das auf neutralem deutschen Boden!) - Wiktor Baturinsky, Ex-General der Roten Armee, "ein KGB-Bonze im Range eines Oberst, der schon als junger Mann, noch unter Stalin, die Rolle eines Staatsanklägers spielte und mindestens 300 Menschenleben auf dem Gewissen hat.: "... klein, dick, glatzköpfig, herrisch und böse", also typisch Bolschewik. Ihm allein ist eine Niederlage Kortschnois zu danken.
Und Wiktor Baturinsky, der Schlächter, hat einen grausamen Plan entwickelt, um die Weltmeisterehre zu Unrecht ein zweites Mal im eigenen Lande zu halten (Ja, auch sie wird in Rußland festgebalten!): "Kortschnoi soll in seinem eigenen Saft verschmoren", das ist die eine Seite. Die Russen wissen, Wiktor braucht seinen Haß, und nicht einmal den wollen sie ihm lassen!
"Mir ist angst!", schaudert die stolze Leopoldine,
"die Russen geben zuviel nach, die wollen Wiktor seinen Kampfgeist nehmen. Wiktor braucht seinen Haß auf Karpow, die Russen wissen das. Vielleicht ist es das, was sie ihm nehmen wollen. Ich fürchte, die hecken schon noch was aus."
Und wie recht hatte sie, ohne daß sie den zweiten Teil des teuflischen Plans Baturinskys kannte!
Und dieser war: Die Russen wollen Kortschnois Frau und Kind freilassen! Was für ein gemeiner Trick!
"Wir sind da natürlich darauf vorbereitet, sobald die hier auftauchen, werden sie sofort weggebracht. Wir haben in der Schweiz eine Wohnung. Die wissen, daß sie von hier weg müssen, die wollen doch auch, daß Wiktor gewinnt."
Klar, denn wie steht Kortschnoi denn dann da, er, der "um die Familie kämpft", Karpow hingegen "bloß um den Titel"!
Die Russen wissen, daß nur einer Kortschnoi auf dem Schachbrett schlagen kann: Kortschnoi selbst. Also lassen sie ihn gegen sich selbst spielen - und auch noch gegen Karpow. Und ihr widerlicher Plan scheint aufzugehen, Kortschnois "Biokurve" schaut nicht gut aus, er verliert, ist nervös.
Ein sicheres Remis verloren durch "die schreckliche Zeitnot, in die er jeweils zwischen dem 30. und 40. Zug hineintrödelte, nur um sie zu erleiden, mit zerfurchter Miene, taumelnd und benommen vor Leistungsdruck." Schade, daß ein so respektabler Russenhasser wie Kortschnoi mit seinem "Kaffeehaus-Schach" den Sowjetmenschen nicht niedermachte. Aber immerhin schmälert er auch damit schon den Sieg der Gegenseite, die ihn sich so unverschämt gewünscht hatte, Gottlob war es ja nur eine Niederlage im "Schach-Krieg", von dem die aufgeklärte Presse immer schon wußte, daß er mit "absurden antisowjetischen Pressekonferenzen" allein nicht zu gewinnen ist. Da müssen die richtigen Geschütze her: Erstens haben "wir" mit Bobby Fisher eh den eigentlichen Weltmeister im Keller seines Schachturmhauses, und zweitens geht es sowieso um Höheres - "unsere" westliche Freiheit. Und deren Geschick will man nicht voreilig in die Hände des Ritters Wiktor von der traurigen Gestalt gelegt haben. Es ist nur gut, wenn der nach seinem Mißerfolg kundtut: "Ich war das Opfer gewisser Kräfte", und sich "dann in Schweigen hüllte". So stimmt auf jeden Fall die Richtung.