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Spanien
DIE DEMOKRATIE KOMMT VORAN
Ein paar Jahre nach dem Ende des Franco-Staates hat sich die Lage der arbeitenden Klassen nicht verbessert, die Arbeitslosigkeit hat Rekordhöhe erreicht, die Inflation ist so hoch, daß sich mittlerweile deutsche Touristen eine Reise nach Spanien überlegen müssen und von den Erwartungen, die in die Demokratie gesetzt wurden, hat sich vor allem eine erfüllt: Spanien verfügt über eines der vitalsten demokratischen Leben in Europa.
In der Demokratie darf neben der Arbeit auch diskutiert und autonome Provinzen dürfen gebildet werden. Gestritten wird vor allem über so heiße Fragen, ob die andalusische eine eigne oder eine hispanische Nationalität ist oder ob die Provinz Navarra baskisch ist, auch wenn in ihr nur ein Drittel Basken wohnen. Daß man davon nicht satt wird, tut dem Engagement, mit dem diskutiert und mehrmals im Jahr gewählt wird keinen Abbruch. Das weiß und darauf spekuliert auch die Regierung und weiß die Probleme und Schwierigkeiten, die sich bei der Erfüllung dieser Autonomieansprüche ergeben, gelassen zu ertragen.
Während die katalanische Frage mit der Wahl des Bankiers Pujol vom Madrider Koalitionspartner Cill zum Vorsitzenden der Generalität ihre mit der Zentralregierung ein vernehmliche Lösung gefunden haben dürfte, stellt die Inauguration des PNV-Vorsitzenden der Partei der baskischen Bourgeoisie zum Regierungschef unter der Eiche von Guernica erst einen Anfang der Befriedung des Unruheherds im Norden dar: die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Zentralgewalt, für die sie auch nach dem Tode Francos Arbeitslosigkeit, Inflation und Senkung des Realeinkommens verantwortlich macht, trägt sich mehr denn je als Nationalismus vor, der sich von einem autonomen, ja unabhängigen Euskadi eine Besserstellung erhofft. Die PNV, im Madrider Parlament solange Teil der UCD-Mehrheit bis sie sich in Hinblick auf die Wahlen zu einem Parlamentsauszug entschloß, um den radikalen Nationalisten Wind aus den Segeln zu nehmen, geht in der Frage der Anwendung des Statuts auf Konfrontationskurs. Die UCD, die einen aufwendigen Wahlkampf führte und dabei versuchte, die nichtbaskischen Wähler gegen die Abertzale (= Unabhängigkeits-)Parteien aufzuhetzen, wurde zur Splitterpartei reduziert und die liberale Zeitung El Pais teilt als Ergebnis einer Untersuchung mit, daß ein Drittel der Stimmen des Wahlbündnisses Harri Batasuna, das mit ETA (militar) sympathisiert, von spanischen Einwanderern kommt.
Dennoch markiert der Zusammentritt des baskischen Parlaments einen Schritt vorwärts in der Konsolidierung der spanischen Demokratie: die militanten Demonstrationen in Guernica richteten sich erstmals gegen baskische Politiker, für Ordnung in den Straßen sorgte eine uniformierte Truppe der PNV (Keimform der geplanten baskischen Polizei), und die Sprechchöre, die die ETA hochleben ließen, richteten sich auch gegen 6 Deputierte von Euskadiko Eskerrs, in deren Fraktion die ETA (p-m) an der von Madrid konzedierten Autonomie mitarbeitet. Der Nationalismus ist gespalten und die Bomben von ETA (m) töten auch Basken, was schon dazu geführt hat, daß sich Ortsgruppen der Batasuneros von den "bewaffneten Söhnendes Volkes" absetzten.
Der Kampf gegen Madrid ist also zu einer Kontroverse in Euskadi um die wahre baskische Politik geworden, die ihre staatlich-institutionelle Form im Regionalparlament hat, was ihren Kern auf den demokratischen Streit reduziert, wie man zu diesem Parlament steht.
Der Regionalismus der "reichen" Provinzen gegen die "ungerechte" Schröpfung durch die Zentralgewalt findet sein Pendant in den Autonomieforderungen der ärmsten Gegenden Spaniens, die sich von eigenen Statuten eine stärkere Berücksichtigung ihrer Interessen versprechen. Während inzwischen in allen "historischen Landschaften" die Autonomie diskutiert wird, sorgt die Regierung in Madrid dafür, daß die Machtdelegation ein Mittel zur Konsolidierung der Herrschaft bleibt und nicht zum Hindernis wird: das andalusische Referendum für sofortige Autonomie wehrte die Administration durch krasse Betrugsmanöver (gezinkte Wählerverzeichnisse, Quorum) ab, mit der Spekulation, daß darauf kein neuer Unruheherd entsteht. Die sozialistische Opposition, die ebenfalls begriffen hat, wie Opposition in der spanischen Demokratie geht, setzte sich im Süden prompt an die Spitze der Bewegung (nachdem sie noch vor zwei Jahren durch ihren "Zentralismus" die Gründung einer Sozialistischen Partei Andalusiens provoziert hatte) und setzt auf die Verwandlung der sozialen Frage in eine der andalusischen, galizischen, estremadurischen etc. Identität als Hebel, um damit die UCD um die Mehrheit zu bringen. Felipe Gonzales, der diese Linie in der Partei durchsetzte, bewies sein Gespür für die Probleme, die sich die Spanier machen, überholte in allen Meinungsumfragen den Ministerpräsidenten Suares und brachte seine parteiinterne Opposition zum Schweigen: So erfolgreich geht Demokratie in Spanien.