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Japan
SOZIALER FRIEDE AUS TRADITION
In einem Fernsehjournal, das sich ansonsten mit den Erschwernissen des Regierens in nicht nur räumlich von uns weit entfernten Ländern befaßt - wo auch mal über die Lebenskünste von Ägyptern auf und von einem Riesenmisthaufen berichtet wird - wurden vor kurzem Bilder über das Betriebsklima in Japan vorgestellt: Vom Dienen und Dienern in Japans Betrieben. Wie der Titel schon sagt, war vom Arbeiten, davon, wie es wirklich zugeht in den Fabriken, wenn die Japaner Autos und Fernseher zusammenbauen, weniger die Rede als von den Eigenheiten dieses Volks bei der Herstellung des nationalen Reichtums, von seinen als kurios ausgegebenen Traditionen, die auf ihre Art klarmachen, daß die Angelegenheit so witzig für die Beteiligten nicht sein kann.
Los ging's mit dem "höflichsten Verkaufspersonal der Welt", das nicht nur werktags, sondern auch an europäischen Sonn- und Feiertagen seine Kunden König sein läßt, indem es sie mit Dienern empfängt, begleitet und entläßt, auch wenn sich der Umworbene nur einen Ausflug in die Welt seiner (unerschwinglichen) Wünsche geleistet hat. Erwägungen, ob diese Aufführung von angeblichen Dienern, die nicht für ihn krumm stehen, den japanischen Kunden stört, sind überflüssig, wenn man sieht, wie sich der Japaner zu seiner Anstellung auf Lebenszeit stellt. Er dienert, singt Hymnen auf seine Firma, schläft in der Ausbildung zur Hebung des Zusammengehörigkeitsgefühls zu zwanzigst in kleinen netten Zimmerchen, macht als Intelligenztraining gemeinsame Schnitzeljagden und überhaupt alles gemeinsam. Und das alles dafür, daß er den Dienst antreten darf, weil er das Privileg zu schätzen weiß, seine Lebenszeit und -kraft dem Kapitalisten zu verkaufen, wofür er die Sicherung seiner Ausbeutung bis zu 55 Jahre garantiert erhält, wenn er es bis dahin bringt, und auf einen Sozialstaat verzichten kann, weil der Betrieb eine einzige gemütliche Sozialeinrichtung ist, außer daß auch noch gearbeitet wird.
Das klang zwar alles sehr exotisch und idyllisch, aber auch nur deshalb, weil mit den Idealen des hiesigen Sozialstaats die nicht gerade origirielle Leistung des japanischen Kapitals besprochen wird, die Ausbeutung internationalem Standard entsprechend zu organisieren.
Lebenslänglich trotz Rationalisierung
Hier wie dort ist das Arbeitsmaterial der Faktor in der betrieblichen Kostenrechnung, dessen Lohn es zu senken gilt, und das ist nur insoweit eine Frage der Tradition, als man getrost darauf bauen kann, daß die Mitarbeiter ihr Wohl von dem des Betriebes abhängig machen. Das japanische Beschäftigungssystem ist dabei nicht moderner und nicht vorsintflutlicher als das hierzulande praktizierte: Ob man nun die Arbeiter freiwillig kündigen läßt oder freisetzt oder sich von vornherein nur eine Kernmannschaft einstellt, die bei Bedarf durch weibliches Personal und/oder Saisonarbeiter aufgefüllt wird, ist für den Zweck der Kalkulation weniger wichtig als der Punkt, ob dadurch das Verhältnis von Lohn und Leistung stimmt für den Kapitalisten.
Wenn die "Frankfurter-Allgemeine" also unter dem schönen Titel
"Wie Japan den sozialen Frieden erhält - lebenslänglich trotz (!) Rationalisierung"
bei der 'Modernisierung' des Systems der Betriebszugehörigkeit einen "Handel auf Gegenseitigkeit" zwischen Betrieb und Gewerkschaft entdecken will, so kann das nur ein gewolltes Mißverständnis sein. Wenn die Gewerkschaft der Abschaffung des Senioritätsprinzips in der Entlohnung und der Einführung der Entlohnung nach Leistungsprinzip dann, wenn der Arbeiter nicht mehr genügend leisten kann, zugestimmt hat, ist das schlicht die Abschaffung eines kleinen Vorteils für den Proleten, den er sich bis dato durch die lebenslange Verdingung an einen Betrieb erwerben konnte. Für "lebenslänglich trotz Rationalisierung" haben die japanischen Gewerkschaften um ihretwillen gestimmt. Schließlich sind sie als Betriebsgewerkschaften eine Säule des Systems der Beschäftigung auf Lebenszeit und wissen, was sie mit den Arbeitsplätzen ihrer Mitglieder verlieren: In Japan wird der Arbeiter auch von der Gewerkschaft entlassen, wenn er seinen Arbeitsplatz verliert. Der Witz an solcher Begutachtung japanischer Zustände ist, daß die Feststellung, daß dort der soziale Friede extrem gut läuft, als Problem von Modernität contra Tradition besprochen wird: Ist das noch eine gescheite Tradition, wenn das japanische Management sich schon eine Maschine erfunden hat, die der auszubildenden Jugend, wenn sie schon das Katzbuckeln nicht mehr intus hat, es per Maschine beibringt, oder vielleicht unheimlich modern wie die sympathischen Arbeitslager, in denen der Nachwuchs für sein Betriebsfamiliendasein abgerichtet wird. Bleibt nur zu fragen, wie man daraufkommt, bei Tradition an etwas Altmodisches, Verstaubtes oder ähnlich Sinnleeres zu denken, wo der Verzicht der Leute, die den nationalen Reichtum besorgen, auf Reichtum und einiges mehr Tradition ist und immer Konjunktur hat.