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Rekrutenvereidigung in Bremen:
DIE ABSEHBAREN FOLGEN DES 6. MAI
Über die Gründe der Demonstration gegen die öffentliche Rekrutenvereidigung will seit dem Abend des 6. Mai niemand mehr ein Wort verlieren. Politiker, Journalisten und Leserbriefschreiber überbieten sich mit Beiträgen zum Thema "Gewalt ist kein Mittel der Politik" (Carstens im Stadion). Die Antwort auf die so an jedermann gestellte Gewaltfrage ist denkbar einfach: nur eine Politik darf sich der Gewalt bedienen, die des Staates. Das Erschrecken vor einem fliegenden Pflasterstein ist deshalb von einem einzigen Aufruf an die Gewalt begleitet, endlich aufzuräumen mit allen Kritikern von Staat und Armee.
Die andere Seite der Gewaltfrage, die Reaktion derer, die am 6. Mai mit ihrem Protest vors Weserstadion gezogen sind, gestaltet sich ebenfalls einfach. Alle linken Organisationen fühlen sich genötigt, ihre Antwort auf die öffentlich gestellte Gewaltfrage zu geben: Sagen wir 'ja' zu den Pflastersteinen und geben Polizei und Bundeswehr die Schuld, oder sagen wir 'nein' mit allen Folgen der Selbstbezichtigung und der Denunziation anderer. An die Stelle eines Urteils über die Ereignisse des 6. Mai ist überall die Rechtfertigung getreten, und keiner der Linken will vom Staat reden, wohl aber alle von sich.
Schuld
haben die anderen, sonst würde die Schuldfrage ja wohl gar nicht erst gestellt. Die nachträgliche Rechtfertigung der eigenen Unschuld in Wort und Bild (angefangen haben die Polizisten, wir hatten mehr Verletzte usw.) ist die Verdoppelung des falschen Arguments, mit dem die Demonstration gegen die Vereidigung begründet wurde. Die Kennzeichnung der Rekrutenvereidigung als eine "ungeheure Provokation" ist eine einzige Entschuldigung der Demonstranten: Hätte die Gegenseite nicht auch noch die Öffentlichkeit, gesucht mit ihrem militärischen Zeremoniell und auf den Ex-Nazi verzichtet - man wäre glatt zu Hause geblieben. Da streichen diese Demonstranten ihren politischen Wille durch und erklären sich zu hilflosen Opfern provokanter Machenschaften des Gegners. Nach dem Protest tragen konsequenterweise die anderen die Verantwortung:
"Die Verantwortung für alle Auseinandersetzungen am 6.5. liegt von Anfang an bei den Veranstaltern, bei Bundesregierung, Bundeswehr und Landesregierung." (Erklärung der Initiative Krieg dem Krieg)
Wem soll damit was bewiesen werden? Wem soll etwas bewiesen werden mit der gemeinsam von KB, Alternativer Liste und TAZ veröffentlichten Hochglanzbroschüre, worin mit Wort und Bild, mit Verletztenstatistiken und Augenzeugenberichten, also mit der Dokumentation der eigenen blutigen Opfer, die Verantwortlichkeit der Gegenseite und damit das eigene verantwortliche Gewissen unterstrichen werden soll? Der angesprochene Schuldige sieht die Sache ohne alle Gewissensbisse genau andersherum und muß sich höchstens von seinen Bürgern fragen lassen, ob er seine Verantwortung nicht noch gründlicher hätte wahrnehmen können. Wen will man mit dem bebilderten Nachweis agitieren, daß die Polizisten zugeschlagen haben, wo die Leserbriefspalte des "Weserkurier" voll ist von Vorschlägen, wie man mit Keule und Wasserwerfer noch wirksamer vorgehen kann (lauter kleine Chemiker im Staatsbürger!). Warum also kommt der eigene Protest nicht ohne einen nachträglichen Zuspruch aus, der dem eigenen Einsatz gegen das militärische Gepränge auf dem Rasen versichert, die andere Seite habe ihn zu verantworten. Vor wem denn bloß?
Das Dilemma in dieser ganzen Exkulpationstour zeigt nur die Verrücktheit eines Widerstandes gegen die Armee und ihren Friedensauftrag, der sich auf die "traditionell antimilitaristische Bremer Bevölkerung" (Bremer Bürgerinitiative gegen Atomanlagen) stützen will, vor und nach dem 6. Mai. Die Angst vor der "Kriegsgefahr" und die volkstümlichen Einwände gegen einen "sinnlosen Krieg" hat man bei den Bürgern schnell entdeckt, weil man sie selber teilt. Daraus aber eine Gegnerschaft gegen Carstens, Schmidt und Apel zu machen, ist nicht die Sache der Bürger. Die Angst der "antimilitaristischen Bremer Bevölkerung" gibt im Gegenteil die solide Basis ab, auf eine starke Verteidigungsstreitmacht zu setzen, ausgerechnet von denen den Frieden zu verlangen, die professionell die Gründe für den Krieg in die Welt setzen, und das Urteil zu übernehmen, vor den Toren des Weserstadions habe der eigentliche Krieg stattgefunden. Die Bremer Bevölkerung für Sympathisanten zu halten, bloß weil sie nicht freudig 'Hurra' schreien (wer tut das schon!), womöglich noch in den Rekruten verführte Antimilitaristen zu entdecken, und sich der praktisch ausgedrückten Gegnerschaft zu entledigen, weil sie so von den friedliebenden Bremer Bürgern nicht gemeint sind, bringt nicht ein einziges richtiges Argument gegen die BRD und ihren Krieg zustande. Wohl aber eine Gewaltdebatte, mit der man sich selbst die Legitimation (aber nur vor sich selbst!) und den Erfolg (dito!) sichern kann, wenn man nur die Brutalitäten des Staates, mithin die eigenen Opfer für sich selbst reklamiert.
Makaber, aber authentisch: "Die Bremer Ereignisse hatten Signalwirkung" (schreibt der 'Kommunistische Bund' und meint damit die Fortschritte der 'antimilitaristischen Bewegung'). Wer dennoch mit Eifer die Gewaltdebatte führt, wird schon wissen, warum:
Schuld
ist man nämlich auch selbst, oder besser gesagt, der andere Teil der Demonstranten.
"Selbst wenn man wütend ist über diese 'geballte Staatsmacht' darf man sich aber nicht hinreißen lassen zu wütenden, unbewußten Aktionen, die sich letztlich gegen die eigenen Ziele richten. Friedenskampf soll jetzt einfach mit solchen Gewaltaktionen in Verbindung gebracht werden." (MSB Spartakus)
Der öffentlich gestellten Aufgabe der Distanzierung von "Krawallmachern" (auch "kleine militante Minderheit" genannt, so der SHB) ist genüge getan getreu der Logik, daß sich alle derartigen Proteste "gegen die eigenen Ziele richten ", die man mit der schönen Kontrastierung von Frieden und Gewalt ins rechte Licht gerückt hat. Und deshalb habe jeder Protest zu unterbleiben, der bei den Politikern als solcher gewertet wird. Die positive Darstellung von friedensliebender Mentalität verspricht da mehr Erfolg; die Entrüstung über Steine im "Friedenskampf" will sagen, daß wer gegen Gewalt ist, den kleinen Unterschied zwischen einem Pflasterstein und dem Militar durchstreichen und bei sich im kleinen zuerst aufräumen muß. In diesem Argument, das die Botschaft der öffentlichen Gewaltfrage sehr gut begriffen hat, darf man sich überbieten. Stufe 1: Man mache sich das Argument zueigen, Gewalt sei eine Äußerung der Sau im Menschen. Vornehmer formuliert und auf den aktuellen Anlaß bezogen, liest es sich so:
"Wie weit war die in die Pflastersteine gelegte Aggressivität und Gewalttätigkeit auch Ausdruck unserer eigenen mangelnden Verständigung? Warum konnten wir, als die Steine flogen, nur individuell und isoliert dagegen reagieren?" (Bremer Außenstelle eines Sozialistischen Büros).
Stufe 2: Man entdecke die Sau im anderen:
"Diese gewalttätigen Ausschreitungen die an neonazistische Ausschreitungen erinnern, haben nichts zu tun mit dem Bewußtsein einer demokratischen Protestbewegung." (SHB)
Stufe 3: Man mache aller Welt klar, daß man selbst nicht im Schweinestall leben will:
"Wir wollen demonstrativ nach außen zeigen, daß wir nicht die Brutstätte des Terrors sind..." (schreibt der Bremer MSB in der Einladung zu einem Friedensfestival).
Die Gewaltfrage eskaliert also auch auf seiten derer, an die sie gestellt ist. "Die politischen Folgen sind unabsehbar" verkündete ein Kommentator am Abend des 6. Mai. Eine glatte Lüge!