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Steuern
KLEINE GESCHENKE ERHALTEN DIE HERRSCHAFT
Bei seinem kritischen Geschäft geht hierzulande noch jeder Journalist von der Fiktion aus, daß sich die Politik gegen allenthalben angemahnte Ansprüche der Bürger wehren müsse und weiß es als seinen gewichtigsten Vorwurf an die Bonner Adresse zu formulieren, daß dort die Staatsräson Gefahr laufe, im Buhlen um des Volkes Neigung unterzugehen. Wenn also eine Wahl ins Haus steht und zugleich Regierung und Opposition Steuerpakete "schnüren", dann kann es sich dabei nur um Geschenke handeln, "Bestechungsgaben, Gefälligkeiten, Wohltaten, eine üppige Platte steuerlicher Leckerbissen".
"Da Wahlen sind, muß die Weltlage das ertragen," resigniert die "Süddeutsche Zeitung", und die "Zeit" "gewinnt leider den Eindruck, daß es mittlerweile allein darum geht, die fiskalischen windfall profits für die Finanzierung von Wahlchancen zu verplempern. Die Prinzipien vernünftiger Finanzpolitik liegen längst auf der Strecke."
Weniger ist mehr gewesen
Den journalistischen Eiferern für Vernunft und Weltlage gilt jeder Pfennig, den der Fiskus den Leuten nicht abknöpft, als vergeudete Substanz des Staates. Als ob sich die Politiker nicht über den Modus der künftigen Erhebung von Abgaben, sondern ihren Rücktransfer aus der Staatskasse auf die privaten Konten streiten würden, erfährt das "Problem der Finanzierung von Steuersenkung" regelmäßig die Lösung, der Staat solle sein Geld besser "behalten". Vorstellig gemacht wird diese Umkehrung der Verhältnisse damit, daß den Finanzämtern wider alles Erwarten zusätzliche Einnahmen ins Haus geflattert wären, die jetzt zur Disposition stünden.
Weil es gelten soll,
"daß der Bürger heute nicht mehr, sondern weniger Steuern zahlt als 1969... dazwischen liegen erhebliche Korrekturen zugunsten des Bürgers: 1975, 1977, 1979; die nächsten werden 1981 folgen." (SPD-Westphal in der Haushaltsdebatte),
sind die trotzdem vorhandenen Steuermehreinnahmen auch eigentlich nicht vom Bürger aufgebracht worden, sondern
"resultieren einmal aus dem Inflations- und Progressionseffekt des Einkommenssteuertarifs, zum anderen aus der Konjunkturbelebung. Den wirtschaftlichen Aufschwung hat der Staat zuvor durch deficit spending befördert. Es ist nur recht und billig, wenn er die damit bewirkten Steuermehreinnahmen behält und zum Abbau seiner Schulden benutzt." (Zeit)
Das einzig richtige an der Bezifferung von Steuerpaketen sind die Jahreszahlen. Die angebliche Größe der jeweiligen Geschenke, die da eins nach dem anderen auf dem Weg zum Bürger gebracht worden sind, ergibt sich immer daraus, daß mit der Tarifänderung, bezogen auf die letztjährige Einnahme oder ein erwartetes Bruttosozialprodukt umgerechnet wird, und von allen - gerade auch durch die Steueränderung und die staatlichen Ausgaben - geänderten Umständen abstrahiert wird, die gleichzeitig die Masse der Einnahmen verändern, daß zweitens dieses fiktive Ergebnis, falls nicht schon eindrucksvoll genug, nochmal ins Verhältnis zu dem "doch" gewaltig steigenden Bruttosozialprodukt gesetzt wird; daß drittens der Staat Steuersenkungen sehr speziell beschließt und viertens für andere als Kapitalisten Senkungen nur in Zeiten der Hochkonjunktur in Frage kommen, die Mehreinnahmen garantiert.
Der falschen Rechnung aber, die wunderbaren Reichtum im Staatssäckel entdecken will, entspricht die sogleich konstatierte abgrundtiefe Armut der öffentlichen Hand. Angesichts der Steuersenkung fällt den kritischen Beobachtern ein, daß der Staat eigentlich nur über Schulden verfügt, die endlich getilgt gehören. Solche hausväterlich moralischen Vorstellungen von geordneter Kassenführung sind aber nicht die Prinzipien der Haushaltspolitik. Minister Matthöfer z.B. erwartet ganz einfach "trotz der negativen Ergebnisse der jüngsten Steuerschätzung ein zusätzliches Aufkommen auf der Einnahmenseite" und denkt deswegen gleichzeitig ungerührt an "eine Ausweitung des Defizitrahmens..." Bei der Frage, ob Schulden eine Last sind, kommt es eben sehr darauf an, ob künftige Gewinne ins Haus stehen.
Die Logik des Tarifs
Auf den mit dem Ideal des ausgeglichenen Haushalts geführten Nachweis, daß der Staat mit seinem Steuervorhaben den Bürgern ein Opfer bringe, das er sich eigentlich nicht leisten könne, folgt nach der Devise 'wenn schon, denn schon' die Überlegung, was man mit dem schönen Geld alles machen könne, anstatt es für "Klimbim" zu vergeuden.
"Mit der unbestreitbaren Notwendigkeit, die aus dem Ruder laufende Besteuerung unserer Einkommen wieder auf Kurs zu bringen, haben alle diese Ausgaben nichts zu tun. Lediglich 7 von 17 Milliarden Mark des Steuerpakets hat Matthöfer für diese sinnvolle Aufgabe reserviert." (ZEIT)
Wo die Abgaben aus dem Ruder laufen, geht die Steuergerechtigkeit baden. Denn "auf dem Hintergrund der sich gegenwärtig beschleunigenden Inflation" verzehrt der "Progressionseffekt" des Steuertarifs (immer diese Kräfte und Wirkungen) jeden Einkommenszuwachs des leistungswilligen Bürgers. Weil sich aber "eine auf individuelle Initiative gegründete Wirtschaftsordnung einen derartig demotivierenden Effekt nicht leisfen kann" (bekanntlich haben schon fast 1 Million Arbeiter keine Lust mehr und auch Journalisten etc. lassen den Griffel sinken, weil sie die Steuer unter das Gehalt ihrer Putzfrau bringt), sollte der Staat korrigierend eingreifen, und diejenigen seiner Bürger fiskalisch anerkennen und belohnen, die sich für ihn durch "individuelle Initiative" nützlich machen.
Die Frage, wie der herzuschenkende Reichtum wenigstens als Instrument der Gerechtigkeit dienen könne, ist in Bonn bereit/gelöst worden. Wenn ein Lambsdorff die Steuersenkung schlicht "als Teil der Regierungspolitik zur Verbesserung der Wachstumsbedingungen" reklamiert, dann darf man ihn wenigstens soweit wörtlich nehmen, daß die Sache ihre reelle Funktion haben soll. Die Vorstellung von fiskalischen Geschenken ist also auch insofern falsch, als sie davon abstrahiert, wem denn unter welchen Bedingungen und daher zu welchem Zweck etwas erlassen wird. Genauso wie die Finanzierung seiner Aufgaben den Staat auf die Höhe des Steueraufkommens achten läßt, gebieten es eben diese Aufgaben, auch schon bei der Erhebung von Steuern das Leben und Treiben der Bürger durch wohlüberlegte ökonomische Rücksichten zu fördern. Die Verteilung der Lasten ist Gegenstand einer Kalkulation und die Gerechtigkeit wird alle paar Jahre neu festgesetzt. Es ist
"die Logik unseres Lohn- und Einkommensteuertarifs, daß er von Zeit zu Zeit korrigiert werden muß." (Westphal)
Angesichts des durchgesetzten Wirtschaftswachstums geht man in Bonn von der durchgesetzten Armut des Volks aus. Der Staat hat dafür gesorgt, daß noch das mickrigste Zugeständnis bei der Steuererhebung inzwischen wirklich ein Vorteil für die damit Bedachten ist, und überlegt sich auf der Basis, wie er das Geld, das die Leute unbedingt brauchen, für sich nützlich machen kann. Hieraus resultiert der eine Teil des Steuerpakets. Weil die Deutschen aussterben, was schon des längeren Gegenstand einer Propagandaaktion ist, leistet sich der Staat jetzt ein paar Prämien auf die Kinderaufzucht. Auch findet der Umstand Berücksichtigung, daß sich die arbeitende Mehrheit immer weniger leisten kann, weil sie sich angesichts rapider Teuerung bei der Lohnfindung sehr maßvoll verhalten hat. Wenn Matthöfer verkündet, "die Belastung mit direkten Steuern häbe einen Punkt erreicht, wo sie abgebaut werden müsse", gibt er natürlich kein Bekenntnis zum Wohlstand der Proleten ab. Denn erstens ist die Belastung nicht von selbst auf diesen komischen Punkt gekommen und zweitens gibt es ja auch noch die indirekten Steuern, deren Erhöhung speziell für Schnaps, Tabak und ähnlichen Luxus schon ins Auge gefaßt ist. Aber insofern der deutsche Arbeiter sein Heil in der Mehrarbeit in Form von Überstunden, Sonderschichten und Akkordleistungen sucht und dabei mit der "gefürchteten" Progression des Steuertarifs Bekanntschaft macht, muß man ihm auch einmal soweit entgegenkommen, daß ihm die Kalkulation überhaupt offen bleibt, wie er allein mit eigener Leistung sich das Notwendigste zum Leben verschaffen kann. Also wird die "Eiger Nordwand" im Steuertarif durch etwas sanftere Bergformationen ersetzt und ein paar Mark mehr Weihnachtsfreibetrag kommen vielleicht gerade recht für die den ganzen Aufschwung hindurch schon fällige neue Waschmaschine. Mit dem restlichen Teil des Steuerpakets wird es wieder mehr gefördert, wenn Unternehmen zur Altersversorgung der durch ihre Anwendung unbrauchbar werdenden Arbeiter beisteuern wollen, und wenn Leute mit eigener Initiative als Selbständige und Freiberufler teils dem Kapital, teils dem Staat nützliche Dienste erweisen.
Der Schlitz in der Wahlurne
Parteien, die ihren Wählern Steuergeschenke offerieren, die sich auf so ziemlich dieselben 17 Milliarden belaufen, haben wohl kaum die von der Presse beschworene Bestechungskonkurrenz um den Wählerwillen im Sinn. Sie hauen sich im Gegenteil das Argument staatspolitischer Vernunft um die Ohren, für das man ihnen gerechterweise sogar die Priorität gegenüber den Journalisten zugestehen muß.
Regierung: "Opposition auf Steuertrip. Da flippten in der Sommerpause die ersten aus und gingen auf den Steuertrip. Es ist Hektik ohne Vernunft. Wer schielt denn hier auf den Schlitz in der Wahlurne im nächsten Jahr? Das sind doch Sie und nicht wir."
Opposition: "Verschonen Sie bitte den deutschen Steuerbürger vor (?) einem Steuerpaket, das im Wahlkampf auf den Weg gebracht wird! Dabei könnte mit Sicherheit nur etwas Unsolides, etwas Unvertretbares herauskommen."
Alle zusammen: "Ohne Widerspruch hat Matthöfer die Prognose gestellt, seine endgültige Form werde das Paket wohl erst im Vermittlungsausschuß zwischen Bundestag und Bundesrat finden. Trotz vielfäliger Bekenntnisse zur Notwendigkeit einer Entlastung der Steuerzahler dominierte doch auf allen Seiten des Parlaments die Sorge um die Finanzlage in diesem und im kommenden Jahr."
Die Steuern sind kein Thema der Bundestagswahl. Die Kritik des Bürgers an den Kosten, die ihm das Regiertwerden bereitet, besteht in der Moserei über Ungerechtigkeiten. Die Frage nach dem Nutzen, den man für seine Zwangsbeiträge zum Gemeinwesen - als ob das ein Geschäft wäre - zurückerhält, bewegt sich in den anerkannten Bahnen des Vergleichs mit anderen Leuten. über eine Aufstellung von Parasiten, die härter angefaßt gehörten, verfügt noch jeder Stammtisch, und an Gunter Sachs, den Bauern mit Diesel-Mercedes und überhaupt jedem störenden Mitbürger läßt sich entdecken, daß seinem nicht vorhandenen Beitrag zum Staatsnutzen wenigstens fiskalisch , auf die Sprünge zu helfen wäre. Die einzigen, die überhaupt von den materiellen Opfern des Volks für seine Politik noch reden, sind die Politiker selber, die eben dafür sorgen und jetzt laut tönen, daß der kleine Mann die Last seiner Steuern eigentlich schon nicht mehr aushalte. Sie wetteifern in Sachen verantwortungsvoller Fürsorge und kommen auf die Steuer als einen Gegenstand, an dem sich ihr staatsmännisches Ringen um das Schicksal der Nation schön konkretisieren läßt nach dem Motto:
"Im Familienlastenausgleich prallen ideologische Kosmen aufeinander."
Welcher Spruch bedeutet, daß um die Frage, ob nun Arme oder Reiche mehr mit ihren Nachkommen geschlagen wären, mit einem ordentlichen Aufwand an Grundwerten gestritten wird. Ihre Ambitionen auf ein hochdotiertes Amt verfolgen sie, indem sie der bloßen Möglichkeit eines Zugeständnisses an die Begehrlichkeit der Massen eine Abfuhr erteilen, am Steueraufkommen dann eine Demonstration haushaltspolitischer Vernunft abziehen und endlich die weitere Entwicklung der Weltlage beschwören. Erstmal abwarten, heißt der neueste Stand der Debatte - wahrscheinlich werden noch Abstriche am Steuerpaket vorgenommen wer den müssen, wenn jetzt schon die Bundeswehr nicht mehr weiß, wie sie ihr Benzin bezahlen kann.
(Abb. siehe GIF-Datei in diesem Brett. Anm. MG_ARCHIV)
EIN VIERTEL DES SOZIALPRODUKTS erreichte erstmals 1977 die Steuerlast; einschließlich der Sozialabgaben waren es sogar 39%. Heuer soll freileich die Steuerquote niedriger ausfallen, und im kommenden Jahr dürfte sie noch weiter gedrückt werden. (SZ)