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Dieser Artikel ist in der MSZ 7-1984 erschienen.


DER GANZ NORMALE WAHNSINN

"Mitterrand ist im Mai 1940 von einer deutschen Kugel getroffen worden und in deutsche Gefangenschaft geraten. Mein Vater lag im Ersten Weltkrieg zwei Jahre vor Verdun. Wir haben oft darüber gesprochen. Irgendwann muß man aus der Geschichte lernen." (Helmut Kohl zu "Bild")

"...einen besseren findest du nicht"

titulierte eine deutsche Illustrierte in den 50er Jahren einen Fortsetzungsroman mit dem deutschen Landser als Helden. Dieses Prädikat besonders wertvoll bestätigt jetzt eine faire Stimme aus Britannien:

"Für einen Sieg in einem eventuellen Krieg in Europa müßten die NATO-Streitkräfte nach Ansicht des britischen Historikers Max Hastings die gleiche Härte und Opferbereitschaft aufbringen wie die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. Mit der Wehrmacht hätten den Alliierten eine überlegene Kriegsmaschinerie und eine der besten Armeen aller Zeiten gegenübergestanden, schreibt Hastings in einem neuen Buch, das am 40. Jahrestag des Beginns der alliierten Invasion in der Normandie erscheinen wird. Hastings schreibt: 'Wenn man ein Vorbild sucht, dem man im Falle einer künftigen europäischen Schlacht folgen kann, dann wird man auf die deutsche Armee schauen müssen und auf die außerordentliche Abwehrleistung, die ihre Männer in Europa vollbrachten, obwohl sie keine Chance hatten und trotz eines wahnsinnigen Führers." (Weserkurier).

Beim nächsten Mal, mit den Gegnern von einst, denen sie heute ein Vorbild sind, und mit einer demokratischen Führung, haben sie eine echte Chance, die deutschen Jungs! Hastings verrät auch, warum der Rechtsnachfolger des "wahnsinnigen Führers" nicht eingeladen worden ist zur Siegesfeier in die Normandie:

"Zum Teil aus nationalistischem Stolz und zum Teil, weil es ein peinliches Eingeständnis ist, denn die Wehrmacht und die SS kämpften für eines der verhaßtesten Regime aller Zeiten."

Späte und bornierte Rache

"einiger der amerikanischen Generäle, die von Hastings als unfähig eingestuft werden."

Vielleicht läßt sich noch kurz vor dem nächsten Krieg ein gemeinsames Manöver arrangieren, bei dem die "den amerikanischen und vielleicht auch den britischen weit überlegenen deutschen Offiziere" ihren Waffenbrüdern zeigen, wie man "Fehler vermeidet, die viele Männer mit dem Leben bezahlen" müssen. Hastings meint nämlich, davor warnen zu müssen,

"die britischen und amerikanischen Soldaten von heute in dem Glauben belassen zu können, daß für die Abwehr eines sowjetischen Angriffs auf Westeuropa schon die Einsatzbereitschaft ausreichen würde, die von den Alliierten bei der Invasion gezeigt wurde."

Da muß die Demokratie schon mit dem Faschismus gleichziehen, und es wäre doch "peinlich", wenn sie ihn nicht übertreffen könnte.

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Alles für den Endsieg

"Private Baumaschinen werden für den Kriegsfall registriert.

In 'Erfüllung des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika in Krise oder Krieg vom 15. April 1982 müssen derzeit rund 9800 Bauunternehmer in Nordrhein-Westfalen Zahl und Art ihrer Baumaschinen melden. In einem Schreiben an alle Landkreise und kreisfreien Städte begründete der nordrheinwestfälische Wirtschaftsminister Reimut Jochimsen diese bislang beispiellose Aktion im bevölkerungsreichsten Bundesland mit der Notwendigkeit, bei der Vorbereitung von 'Maßnahmen auf dem Gebiet der militärischen und zivilen Verteidigung die Bestände an Baumaschinen und Flurfördergeräten zu kennen.' Erst die Kenntnis aller Bestände an Baumaschinen ermögliche es, so heißt es in dem Schreiben des Wirtschaftsministers, 'festlegen zu können, welche Geräte im Frieden für Maßnahmen der zivilen und militärischen Verteidigung in die entsprechenden Planungen einbezogen werden können'. Jochimsen kündigte in seinem Schreiben an, 'solche Auskunftsersuche' in Abständen von etwa zwei bis vier Jahren zu wiederholen, um die Planungen auf einem aktuellen Stand zu halten. In dem Schreiben heißt es, daß die registrierten Maschinen in einem Spannungsund Verteidigungsfall auch 'zur Unterstützung der militärischen Verteidigung' verwendet werden sollen." (Frankfurter Rundschau)

Als der II. Weltkrieg begann, wurden bei den Bürgern Personenkraftwagen registriert, zunächst noch gegen Bezahlung durch den Staat, dann nur noch fürs Vaterland. Heute ist dasselbe natürlich etwas ganz anderes. Denn damals gab es keinen "Vertrag mit den Vereinigten Staaten", und eine Bundesrepublik Deutschland gab es auch nicht.

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Endlich praxisorientierte Studienreform

"Zu praxisfern ist nach Ansicht von Bundesverteidigungsminister Manfred Wörner das Studium an den Bundeswehrhochschulen. Wenn die jungen Offiziere von den Hochschulen in die Truppe kämen, scheuten sie den Außendienst und entwickelten, 'von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, den Drang in die Schreibstube'. Ein stärkerer Praxisbezug sei notwendig, weil die kriegsgediente Generation mit ihrer Erfahrung jetzt aus der Bundeswehr verschwände. Würden die Soldaten zu stark zum Theoretisieren erzogen, entstünde ein Praxisverlust." (Frankfurter Rundschau)

Was wäre demnach die optimalste Ausbildung für Offiziere?... Genau!

Aus der Schule der Nation

"General empfiehlt Personalchefs die Einstellung von Soldaten.

Der Kommandeur der 1. Panzerdivsion der Bundeswehr, Generalmajor Henning von Ondarza, hat an die Unternehmer appelliert, sich bei der Einstellung neuer Mitarbeiter im Zweifelsfall für ehemalige Soldaten zu entscheiden. Ein besonderer Vorteil liege darin, daß alle Soldaten auch zu gehorchen gelernt hätten. In einer ganztägigen Veranstaltung 'Soldaten treffen Personalchefs' fand der Hauptmann Thankmark Gräger starken Beifall, als er hervorhob: 'Eine 35-Stunden-Woche kennen wir nicht'. Hauptmann Armin Weiß erwähnte, daß ein Zeitsoldat, der einige Jahre als Führer einer militärischen Einheit tätig war, auch mit extremistischen Gruppen umzugehen und Sabotage abzuwehren wisse. Jürgen Wolfslast, Chef der niedersächsischen Unternehmerverbände, berichtete, bisher seien keine Probleme bei der Anpassung früherer Zeitsoldaten an den Führungstil in der Wirtschaft aufgetreten: 'Es gibt ja auch sehr autoritäre Führungsstile in der Wirtschaft', sagte Wolfslast." (Frankfurter Rundschau)

Wer die Schule der Nation absolviert hat, hat zusätzlich zum Lehrstoff der Schulen in der Nation noch ein paar Tugenden drauf, die auch im zivilen Leben in Vorkriegszeiten immer mehr gefragt sind. Wo ganz allgemein im Staate das Ideal der Bürger immer mehr dem Ausbildungsziel der Bundeswehr gleicht, qualifiziert dieses natürlich im besonderen Maße auch für eine bürgerliche Existenz. Die zeitgenössische Variante des Ideals vom B ürger n Uniform ist die ideelle Uniform für jeden Bürger.

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Übler Scherz

"Gas-Anschlag auf die Mitschüler

Mit gefährlichem Reizgas setzte ein Realschüler aua Buchholz bei Hamburg während einer Unterrichtspauae seine Mitschüler schachmatt. Die Kripo vermutet, daß das Gas 'TW 1000 CS'aua einer Selbstverteidigungswaffe stammt. Nach dem üblen Scherz mußten zahlreiche Kinder wegen drohender Augen- und Lungenschäden in ärztliche Behandlung. Dazu werden sie per Rundfunk aufgefordert. Über sein Motiv schwieg der Gas-Attentäter bislang." ( Abendzeitung, München)

Komisch - vor Jahren versicherten uns die Polizeiininiater, daß das CS-Gas absolut unschädlich sei. In den Händen der Polizei und auf die richtigen Schädlinge gesprüht, versteht sich.

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Neues von der Friedenssicherung

"Bonn will Berufsfeuerwehrleute nicht vom Wehrdienst befreien

Die Bundesregierung will Berufsfeuerwehrleute nicht grundsätzlich vom Wehrdienst befreien. Das Kabinett lehnte eine Initiative des Bundesrats zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes ab, wie Regierungssprecher Boenisch bekanntgab. Die Ländervertretung hatte argumentiert, es sei damit zu rechnen, daß für die öffentlichen Feuerwehren unentbehrliches Personal im Spannungsfall zur Bundeswehr einberufen werde. ... Das Wehrressort will sogar noch einen Schritt weitergehen. Künftig sollen auch ein Großteil der bisher vom Wehrdienst ausgenommenen Angehörigen von freiwilligen Feuerwehren, Zivil- und Katastrophenschutz sowie Entwicklungshelfer und möglicherweise Polizisten den Grundwehrdienst ableisten. Auch dazu gibt es bereits beträchtlichen Widerstand, vor allem der Bundesländer." (Süddeutsche Zeitung)

Eine klare Setzung der Prioritäten, auf die es im Ernstfall ankommt: Erst wird gezündelt und dann gelöscht! Vorsorglich in Friedenszeiten wird das Personal für den totalen Krieg ausgehoben und ausgebildet. So korrigiert die Demokratie eine Schlamperei des Faschismus, in dem zuviele "Etappenhengste" mit dem "uk"-Stempel versorgt wurden, so daß der Volkssturm am Ende auf Kinder und Greise zurückgreifen mußte, die dann als "Kanonenfutter" verheizt wurden. Wenn Krieg ist, dann muß jeder hingehen, der gebraucht wird. Der Staat sorgt rechtzeitig dafür, daß er auch brauchbar ist.

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C-Waffen-Test

"Bonn läßt Vernichtung chemischer Waffen vorführen

Die Bundesregierung will mit einer Vorführung der Vernichtung chemischer Waffen in Munster verdeutlichen, wie sie die Nachprüfbarkeit eines angestrebten Verbots solcher Waffen verwirklicht sehen will. Es handelt sich um die Vernichtung alter chemischer Waffen aus den Weltkriegen in der Bundeswehranlage in Munster.... 50 Diplomaten und Fachleute der Genfer Abrüstungskonferenz werden teilnehmen. Sie kommen vor allem aus westlichen Ländern und Staaten der Dritten Welt. Die Bundesregierung hatte auch Vertreter der Länder des Warschauer Pakts eingeladen. Doch nur Rumänien hat die Einladung befolgt. Die Bundesregierung äußerte am Montag ihr Bedauern über die Absagen aus dem Osten. Bei den Genfer Verhandlungen über ein Verbot aller chemischen Waffen ist die Frage der Nachprüfbarkeit strittig. Die Bundesregierung setzt sich in Genf für ein Abkommen ein und hat zuletzt im April Anregungen vorgelegt." (FAZ)

Kooperation im Bündnis bei eigenständiger europäischer, in diesem Fall westdeutscher Rolle: Während der US-Kongreß dem Präsidenten unlängst 2,1 Mrd. Dollar für die "Modernisierung der C-Waffen" in US-Beständen bewilligte, von denen ein nicht zu knapper Teil auf BRD-Territorium lagert das Zeug braucht man schließlich ganz vorne an der Front -, entschärft die Bundeswehr ihre altmodischen Chemieklamotten aus dem Wehrmachtserbe. "Wir" verzichten auf den chemischen Krieg, vertrauen auf "unsere" amerikanischen Freunde und "bedauern", daß der Osten zur Schau in Munster nicht kommt. Dabei wäre eine wirkungsvolle "Nachprüfung" mehr als einfach: Die Russen schicken nicht nur "Vertreter", sondern gleich ihren Giftgasvorrat und unsere "Fachleute" vernichten ihn kostenlos.

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Grenzwertskandal

"Dioxin - das Gift , an dem Boehringer starb

Boehringer Hamburg produziert nicht mehr. Zur Begründung der Produktionseinstellung verweist die Firma unter anderem auf die von der Umweltbehörde geforderte Einhaltung von TCDD (= Dioxin)-Grenzwerten im Abwasser und in der Abluft. Die Anordnung enthalte keine Begründung dafür, daß solche minimalen Konzentrationen schädliche Umwelteinwirkungen oder gesundheitliche Schäden mit sich bringen könnten. Im Gegensatz dazu würden höhere Konzentrationen von den Behörden zum Beispiel bei Müllverbrennungsanlagen toleriert." (Bild)

Solche "Begründungen" können auch gar nicht vorliegen, weil sich naturwissenschaftlich nie und nimmer beweisen läßt, daß eine unter"grenzwertige" Konzentration einer erwiesenermaßen giftigen Substanz "unschädlich" sein soll. Die Grenzwerte werden von der "Behörde" festgelegt, die immer Wissenschaftler findet, die ihr dafür die "Argumente " liefern. Immerhin hat Boehringer seine Geschäftsgrundlage bislang in Hamburg - und auch weiterhin in Hessen - in der gänzlich unwissenschaftlichen staatlichen Anordnung, daß 0,0001 mg gefährlich, 0,000099 mg hingegen harmlos sein sollen. So hat der Senat ganz offensichtlich ein Exempel statuiert, um im Hamburger Dauergiftmüllskandal demokratische Initiative zu demonstrieren. Zum Skandal wird der giftige Abfall des Kapitals nur bedingt, weil in der Demokratie noch keine Einigkeit darüber besteht, was eine Katastrophe ist. Und damit ist auch dafür gesorgt, daß die ganz normale Vergiftung von Land und Leuten "im Rahmen der behördlichen Auflagen" der Normalfall dieser famosen Produktionsweise namens Kapitalismus ist.

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Die Sikkhs in Indien

sind schon ein Problem: Weder Hindus noch Moselms, so daß man sie in die bekanntermaßen üblichen Schlächtereien im Staate des gewaltlosen Gandhi einordnen könnte. Den Turban nehmen sie auch im Bett nicht ab, was noch ginge, aber mit dem Dolch ins Flugzeug, das bringt nicht nur die innerindische, sondern auch gleich noch die internationale Luftfahrt durcheinander. Jetzt haben sie aus Gründen ihrer Eigenartigkeit so lange Unruhe im Reiche der fernöstlichen eisemen Lady gestiftet, daß diese, um weiteres Blutvergießen zu verhindern, ein paar Tausend von ihnen massakrieren lassen mußte. Das war kein Terror, sondern eine militärische Aktion. Und auch das weitere Problem, daß in Indiras Armee jede Menge Sikkhs Dienst tun, wurde gelöst: Ein Singh (so schreiben sich alle Sikkhs mit dem Familiennamen) führte den Sturm auf den Goldenen Tempel an, und die Deserteure werden aufgehängt. Es werden wohl nicht mehr als 3.000 werden.

Dies die Kurzfassung aller Presseberichte über das "Sikkh-Problem" in der Indischen Union. Was lernen wir daraus? Sachen gibt's!

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Demokratischer Artenschutz

"Minister nennt Mietmütter unzulässig.

Bundesforschungsminister Heinz Riesenhuber (CDU) hat sich für zellbiologische und gentechnische Experimente, die sich mit dem Menschen und seinem Erbgut befassen, eine gesetzliche Regelung vorbehalten. Als Beispiel nannte Riesenhuber Mietmütter. Dabei lasse man sich auf etwas ein, dessen Folgen nicht ganz zu übersehen seien. Die schwierigen Konflikte, die aus der Gentechnik entstehen könnten, schilderte der Minister auch am Beispiel der vielleicht eines Tages realisierbaren Verlängerung der menschlichen Lebenszeit. Entweder man verweigere die Verlängerung des Lebens, oder man erlaube es allen Menschen. Dann aber wachse entweder die Zahl der Menschen erheblich, oder aber man verhindere das Nachwachsen einer für das Gleichgewicht der Gesellschaft ausreichenden Anzahl von Kindern, wodurch der Anteil der alten Menschen erhöht würde und Flexibilität und Lebendigkeit der Gesellschaft abnehmen könnten." (Süddeutsche Zeitung)

Besorgt gibt sich die öffentliche Gewalt, wenn nicht sie es ist, die exklusiv im letzten Uterus sitzt und allein entscheidet, wieviel Alte noch zu finanzieren sind und was es an jungem Nachwuchs braucht. Geschäftsmäßig weist ein demokratischer Minister darauf hin, daß die Alten im Interesse seines Gemeinwesens rechtzeitig und gesellschaftlich-proportional abzukratzen haben, damit er mit seiner Menschenmasse "flexibel" kalkulieren kann. Verantwortungsbewußt diskutiert ein christlicher Demokrat gesetzgeberische Maßnahmen, um sich die Kontrolle über Genexperimente "vorzubehalten". Dabei gibt es aktuell jenseits aller "zellbiologischen Manipulationen" der Wissenschaft nur ein gesellschaftlich relevantes "Monster": den demokratischen Staatsbürger und seine Minister - und die sind mit biologischen Erkenntnissen weder zu produzieren noch zu heilen.

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Erfolgreich integriert

wurde Ende Mai der 27-jährige Türke Ali Kadir Celik - allerdings zurück in die Türkei. Die Bremer Ausländerbehörde wies ihn mit der Begründung aus, seine Ehe mit einer deutschen Frau sei in die Brüche gegangen. Das ist zwar nicht strafbar, aber für die Behörde ein klarer Beweis, daß Celik die "Belange der Bundesrepublik Deutschland" (Ausländergesetz) beeinträchtigt habe.

Die Republik hatte nämlich den Mann mit dem türkischen Paß schon seit seiner "illegalen" - Einreise 1979 im Verdacht, aus schierer Berechnung hierhergekommen zu sein. Nur seine Heirat mit einer Deutschen verschaffte ihm die Gnade, hier bleiben zu dürfen. Und mit der Alten hat er jetzt auch die Gnade verloren.

"Das Amt lehnte eine Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung für den Türken mit der Begründung ab, diese sei ihn nur wegen der Ehe mit einer Deutschen erteilt worden." (Frankfurter Rundschau)

Celik half es wenig, daß er als Bundesbahnarbeiter hiesige Steuer- und Rentenkassen gefüllt, Deutsch gelernt und der Republik ein Kind gezeugt hatte. Aus amtlicher Sicht hatte er damit gerade genug geleistet, um wieder abgeschoben werden zu können.

"In dem amtlichen Bescheid heißt es, Celiks Integration in der Bundesrepublik sei nicht derart fortgeschritten, daß eine Rückkehr in die Türkei unzumutbar oder auch nur mit erheblichen Umstellungsschwierigkeiten verbunden wäre."

Nach dieser Lage der Dinge hätte Celik auch der Eintritt in einen Trachtenverein oder Kegelclub (so die Anspielung seines Anwalts Ohm) nichts genützt; das hätte ihm das Amt lässig als unzulässige politische Betätigung ausgelegt. Erfrischend realistisch dagegen die Perspektive, die ein Mitarbeiter der Bremer Ausländerbehörde in Aussicht stellte:

"Um bei der Behörde als integriert zu gelten, müsse man feste Bindungen in der hiesigen Gesellschaft vorweisen können. Konkret sei darunter beispielsweise ein gemeinsames Geschäft mit dem geschiedenen Ehepartner zu verstehen." (Weserkurier)

Ob's wohl gereicht hätte, wenn Herr und Frau Celik ein Beratungsbüro für Türken auf der Abschiebeliste aufgemacht hätten? Als Geschäft wäre dergleichen wohl auch wieder sittenwidrig - dafür ist ja schon die Ausländerbehörde zuständig.

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Todesopfer an der NATO-Südflanke

"Weitere drei Türken hungern sich zu Tode

In der Türkei sind erneut drei politische Häftlinge im Hungerstreik gestorben, teilte das Kriegsrechtskommando in Ankara mit. Die drei Angehörigen verbotener linksgerichteter Organisationen waren in einem Istanbuler Militärhospital. Damit ist die Zahl der Häftlinge, die bei den seit 10. April anhaltenden Hungerstreiks in verschiedenen türkischen Gefängnissen gestorben sind, auf zehn angestiegen. Zwölf weitere liegen im Koma. Dennoch ist Ministerpräsident Turgut Özal nicht bereit, auf die Forderungen der Gefangenen einzugehen." Warum sollte er auch! Der laut Beschluß des Europarats "demokratisch gewählte" Türkenpremier kann immerhin auf das Beispiel seiner Kollegin Thatcher verweisen, die vor ein paar Jahren nicht weniger gefangene IRA-Kämpfer krepieren ließ, um zu demonstrieren, daß ein demokratischer Staat "nicht erpreßbar" ist. Und die dürre Überschrift, mit der das "liberale Weltblatt" das "Versterben" politischer Häftlinge in der Türkei vermeldet, zeigt, daß die hiesige Öffentlichkeit dem Abnehmen "linksextremistischer" Türken weniger Aufregung abgewinnen kann als vergleichsweise dem Überhandnehmen des Borkenkäfers im deutschen Wald. Der Rest ist dann Statistik:

"Von den nach dem Militärputsch von 1980 inhaftierten rund 30000 Menschen befinden sich nach amtlichen Angaben noch 15000 in Haft. Seit der Machtübernahme der Militärs am 12. September 1980 sind dort nach Angaben des in Westberlin lebenden türkischen Schriftstellers Özdemir Basargan 47 politische Gefangene hineerichtet worden. Gegen rund 300.000 Personen liefen Ermittlungsverfahren. Von den auf 30000 bis 35000 geschätzten politischen Gefangenen seien seit der Parlamentswahl im November 101 Häftlinge zum Tode verurteilt worden, in weiteren 518 Fällen fordere die Staatsanwaltschaft die Todesstrafe." (Süddeutsche Zeitung)

Zahlen, die "unser Verhältnis" zum NATO-Partner Türkei nicht einmal "belasten". Bestenfalls fragt Genscher beim nächsten tete-a-tete mit den Henkern von Ankara mal nach, ob man's nicht etwas langsamer angehen könnte. Wenn noch Zeit bleibt, vor lauter "ernsten Sorgen" um den akuten Visummangel bei Frau Sacharow...

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"FERDINAND MARCOS, Diktator der Philippinen, kommentierte die hohen Stimmenverluste seiner - nach wie vor - regierenden Partei mit einem Hauch von Selbstironie: 'Ich nehme an, daß unsere Anweisungen an unser Volk, es der Opposition zu gestatten, einige Sitze zu gewinnen, zu wörtlich genommen worden sind.'"