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Dieser Artikel ist in der MSZ 2-1984 erschienen.

Systematik


WERDEN DIE GRÜNEN NORMAL?

Fall 1:

Ihr prominentester Bundestagsabgeordneter, Ex-General Bastian, beschwert sich in einem ziemlich öffentlichen Brief über Arbeitsstil und Rotationsprinzip, klassenkämpferische Tendenzen und Antiamerikanismus in der Partei; er droht mit Austritt aus der Fraktion, will sein Mandat selbstverständlich mitnehmen - die Grünen haben ihre erste Fraktionskrise. - Das öffentliche Echo liegt auf der Linie: Der Parlamentsalltag holt die Friedensidealisten ein; "die Realitäten" machen sich geltend; ihr eigener General nimmt den Kampf gegen die "Freaks" auf. Als Karikatur hingemalt, mit tiefer Sympathie für starke Militärs und viel faschistischer Abneigung gegen das bunte Szenenvölkchen:

Fall 2:

Die hessischen Grünen beschließen die Regierungsermächtigung für die SPD und ihren Börner. Die Chance, unter SPD-Herrschaft eine konstruktive Rolle spielen zu dürfen, läßt alte Feindschaften und Programmpunkte vergessen. Statt dessen sonnt man sich einen Tag lang in dem großkotzigen Verdacht, die SPD wäre am Ende nicht "kompromißfähig" und "vertragstreu" genug, um die Vereinbarungen einzuhalten. - Die um die Regierungsmacht "hetrogene" Rechte stellt wider hesseres Wissen Börner als Gefangenen verrückter Öko-Freaks hin, mit unverhohlenen Haß wieder per Karikatur:

Ansonsten verbucht die Öffentlichkeit einen Fortschritt zu parlamentarischer Berechenbarkeit bei den Grünen.

Werden die Grünen wirklich normal?

Einerseits a - und das macht weder ihnen Ehre noch dem hierzulande herrschenden Normalfall. Als gelehrige Parlamentarier eignen sich die Grünen nämlich die beiden Haupttugenden parlamentarischer Politik an: Den Opportunismus der Macht, der auf demokratisch "Politikfähigkeit" heißt, und die besondere Sorte Heuchelei, die gute Demokraten "Glaubwürdigteit" nennen.

Andererseits nein - das merkt man schon an dem Theater, das die Grünen um ihre Angleichung an die Sitten der parlamentarischen Welt aufführen. Nicht als Kritiker dieser Sorte Herrschaft, immerhin aber doch als Alternative zu ihren sämtlichen Gebräuchen sind sie angetreten. Und diesen Anspruch werden sie nicht los: Ohne ihn stellt eine Partei, die sich nach der Symbolfarbe von Mutter Natur nennt, überhaupt nichts weiter dar, noch nicht einmal einen falschen Grund zum Wählen. Die "Normalisierung" der Grünen findet daher als ständige Befassung der Partei mit sich selber statt - als "Klärungsprozeß", der zu keinerlei Klarheit führt, sondern zu einer Zirkulation des Vorwurfs, "grüne Prinzipien" verletzt zu haben. Darin ist und bleibt ihr Parlamentarismus tatsächlich alternativ!

"Politikfähigkeit"

heißt die Parole, unter der Hessens Grüne mit ihrem alten Erzfeind Börner gemeinsame Sache machen, und unter die die grüne Bundestagsfraktion ihr weiteres Tun und Lassen stellen soll, Eine seltsame Tugend! Reicht es denn nicht, wenn man ein bestimmtes Interesse teilt und einen gemeinsamen Zweck verfolgt? Dann kennt man doch dessen Gegner; man weiß, wem dessen Zwecke schaden und warum; man wirbt bei den Geschädigten ums Mitmachen bei einer Sache, die ihnen nützt; die machen entweder mit, und wenn genügend Leute es richtig anfangen, mit Erfolg oder sie lassen die Finger davon.

Nein, so "einfach" geht das Opponieren nicht bei den Strategen der parlamentarisch gewordenen Friedens- und Ökologie-Bewegung. Die messen sich und ihre Absichten an "der Politik", also an der fertig eingerichteten Welt demokratischer Herrschaft. Parteien und deren Konkurrenz, die Macht und die Bestellung ihrer Sachwalter, der "Kuhhandel" um Posten und Einflußmöglichkeiten und staatliches Geld: Das alles ist für sie ein ehrenwertes Geschäft, zu dem sie "fähig" werden, d.h. in dem sie mitmischen wollen.

Denn um eine besondere "Kunst" wie Rechnen oder Klavierspielen handelt es sich nicht bei der "Politikfähigkeit", auf die sie so scharf sind. Es geht um die Bereitschaft, anzuerkennen und sich positiv darauf einzustellen, daß es im parlamentarischen Getriebe immer nur um eine Sorte Entscheidungen geht: Wer darf - regieren nämlich, also den Leuten mit lauter Gesetzen ihr Dasein so festlegen, daß es nicht mehr ihnen, sondern "dem Gemeinwohl" nützt; und wer kann - weil er nämlich die meisten Stimmen hinter sich hat. Den linientreuen Opportunismus der Macht und der Konkurrenz um ihre Posten - das übersetzen die Grünen sich in die "Fähigkeit zur Politik", die sie nunmehr schleunigst an den Tag zu legen hätten.

Solche schönfärberischen Übersetzungen brauchen sie. Denn fürs Mitregieren - als Koalition in Hessen oder als konstruktive Opposition in Bonn - heißt es Abschied nehmen von der radikalen Protesthaltung, die die "Bewegung" bislang von ihrer etablierten Konkurrenz unterschieden und der Partei die nötigen Stimmen eingebracht hat. Jedes Festhalten an erkannten Notwendigkeiten wäre weltfremd in einer Sphäre, wo Überzeugungen aller Art christliche wie pazifistische, ökologische wie sozialistische, geheuchelte wie ehrliche - prinzipiell nur eine Bedeutung haben: In ihnen wird den Regierten mitgeteilt, wie ihre Meister ihre Taten gesehen haben wollen, damit man sie das nächste Mal (wieder) wählt. Jedes Beharren auf Opposition, weil das eigene Interesse sich gegen die ganze eingerichtete Scheiße richtet, ist eine unverantwortliche "Verweigerungshaltung" in einer politischen Welt, wo Opposition Konkurrenz bedeutet: die Konkurrenz um die Macht, d.h. darum, dasselbe weiterzumachen wie die bisherigen Herren. Selbst das "Alles muß ganz anders werden!", dieser gar nicht besonders kritische Standpunkt der Grünen, muß daher... nein, nicht abgeschafft werden: wofür wäre eine grüne Partei dann überhaupt noch da? Wohl aber gehört er veredelt: zu einem Ideal, wie "politikfähige" Staatsmänner es sich neben ihren praktischen Geschäften halten, zum Zweck demokratischer Selbstdarstellung. So ähnlich eben, wie es den Christen mit ihrem Herrgott doch schon längst gelungen ist und den Sozis mit ihrer Liebe zur arbeitenden Menschheit.

Bloß: Genau diese Ähnlichkeit wollen die Grünen um jeden Preis nicht; denn sonst wäre es um sie als Protestpartei geschehen. Wie sollen anfanatisierte Naturfreunde es als Erfolg verbuchen, wenn ihre Parlamentarier einen Ministerpräsidenten wählen - und der sorgt dann weiterhin für genau den Atomstrom, dessen Bezahlung sie einst verweigem wollten? Christen mögen ein AKW als "Vorsorge für unsere Kinder" deuten und Sozialdemokraten als "Sicherung von Arbeitsplätzen". Aber können Grüne auf dieselbe Manier ein solches Werk als "Verhinderung von vier weiteren AKWs" hinstellen? Ist das die Erfüllung alternativer Friedensliebe, wenn ihr "politikfähiger" Ex-General im Verteidigungsausschuß für mehr Panzer wirbt, weil das ja immerhin keine Raketen sind -?

"Glaubwürdigkeit"

ist die "menschliche" Tugend, die zur "Politikfähigkeit" hinzugehört. Denn auch das Verhältnis zwischen Person und Sache gestaltet sich etwas kompliziert, wo nicht einfach Betroffene sich in ein und demselben Interesse zusammenfinden, sondern das maßgebliche "Anliegen" Teilhabe an der Macht heißt. Diese "Sache" fordert vor allem - Personen, die sich der Macht würdig erweisen. Und was ist dazu wohl vonnöten?

Eins, kommt dafür jedenfalls nicht in Frage, nämlich Kritik an den Belangen staatlicher Macht: Wie sollte jemand als guter Sachwalter der Nation und ihrer Gewalt einleuchten, wenn die nationalen Zwecke und deren Mittel ihm unsympathisch sind? Mit den Erfordernissen erfolgreicher Macht vertraut; von Kindesbeinen ans Anordnen gewöhnt; eindeutig nicht der Gattung der Betroffenen und gedeckelten Mitbürger zugehörig, sondern immer Herr der Lage, weil auf der richtigen, nämlich stärkeren Seite zu Hause: Solche respekterheischenden Eigenschaften sind es, die ein guter, glaubwürdiger Parlamentarier braucht. Mit seiner dementsprechenden Karriere verschafft er seiner Partei den demokratischen Ruf, für die Macht geeignet zu sein; der darauf gegründete Erfolg der Partei fördert wiederum die persönliche Karriere ihrer Vertreter. So geht echte parlamentarische Volksnähe!.

In die geschlossene Bonner Polit-Gesellschaft, die diesen Konkurrenzkampf um die ansehnlichste Karriere tagtäglich führt, sind die Grünen eingebrochen mit Basisdemokratie und Blumen und Pullovern. Gegen die Arroganz der Macht haben sie Symbole aus der "Szene" und den Standpunkt des von der Staatsmacht Gebeutelten gesetzt. Das "Rotationsprinzip" - den Übergang des Mandats auf einen Nachfolger in der Mitte der Amtsperiode - haben sie beschlossen, um den Karrierismus des Abgeordneten von vornherein zu verhindern. Erweiterte und offene Fraktionssitzungen u.ä. sollten mit der Phrase vom "Volksvertreter" ganz neu ernstmachen. Usw.

Ausgerechnet diese allerheiligsten Kühe des grünen Parlamentarismus hat Ex-General Bastian in seinem öffentlichen Beschwerdebrief aufs Korn genommen; rechtzeitig ein Jahr vor dem angepeilten Personalwechsel. Die "Bürogemeinschaft" der Parlamentarier mit ihren Nachrückern, die die "Verselbständigung" der Prominenz verhindern soll, denunziert er als unpraktische Utopie; für effektive Politik genauso hinderlich wie "wesensfremde, nicht am Erfordernis parlamentarischer Wirksamkeit orientierte Beschlüsse von Parteigremien". Von seiner Partei-"Basis" hält er überhaupt nicht viel - "bedrückend inkompetent" und schon gar nichts von deren "radikalen" Positionen, die das Bemühen der Fraktion um öffentliche Anerkennung als ehrenwerter Bestandteil des "Hohen Hauses" immer wieder durchkreuzen. Die Vorwürfe von rechts - "antiamerikanisch", "gewaltorientiert", "klassenkämpferisch" - leuchten ihm so ein, wie sie gemeint sind; wie einer vom MAD entlarvt er dahinter Kommunisten mit einer "geschickt und diszipliniert gehandhabten Kadertaktik"; und wie ein altgedienter Parlamentarier beruft er sich gegen seine Partei auf die "fast zwei Millionen Wähler", die r "darüberhinaus auch noch zu vertreten" habe.

Diesen Generalangriff auf alles, worin der grüne Parlamentarismus alternativ sein wollte, führt Bastian allerdings ganz m Namen dieser Alternative:

"Auch das Klima innerhalb der 'Bürogemeinschaft' ist leider nicht von jener Solidarität,... Toleranz und Menschlichkeit geprägt, die nach dem Anspruch der Grünen Wesensmerkmale grüner Politik sein sollten. Statt dessen bestimmen Intrigen und Machtkämpfe auf vielerfei Schienen das Innenverhältnis. Ansätze... sind längst von ehrgeizigem Profitstreben, zynischer Verächtlichmachung idealistischer Grundhaftungen einzelner und opportunistischer Anpassung an vermutete Tageschancen abgelöst worden."

Bastian beschreibt den Widerspruch der Grünen im Parlament, und gleichzeitig teilt er ihn. Es paßt eben nicht zusammen: Auf Parlamentarismus setzen, also auch auf die "Überzeugungs"kraft einer parteieigenen Prominenz für demokratische Untertanen; zugleich aber sämtliche weniger erbaulichen Umgangsformen, die konkurrierende Karrieristen untereinander und Prominente mit ihren Fans und Neidern pflegen, mit lauter Moral zudecken wollen. Die Partei will Prominente; mit Bastian vor allem, ihrem Ex-General im Parlament, will sie sich schmücken und ihren Ruf als verantwortungsvolle Friedenspartei festigen - und zugleich will sie nicht dulden, daß ihre Schmuckstücke sich als solche vorkommen und aufführen. Bastian will mit seiner Prominenz der Sache seiner Partei dienen dafür verlangt er aber auch von der Partei, daß sie ihn und "die bekannteste" (eben: die bekannteste!) "Exponentin einer nichteinseitigen grünen Friedenspolitik, Petra Kelly," nicht stört beim "Profilstreben", sondern ohne Neid und Ehrgeiz, statt dessen mit "Solidarität, Toleranz und Menschlichkeit" unterstützt.

Notwendigerweise ein Streit ohne Ende! Denn jede Seite klagt die andere eines Vergehens an - hier gegen die "Basisverbundenheit", da gegen die "Prinzipien parlamentarischer Wirksamkeit" -, wo gar kein Vergehen vorliegt, sondern ein gemeinsamer erzbürgerlicher Fehler: der Unsinn, beim Regieren mitmachen zu wollen, aber dabei keinesfalls den Standpunkt der Macht einnehmen zu wollen. Und sicher erfinden sie sich demnächst lieber lauter sozialpsychologische Theorien über die Schwierigkeiten eines alternativen Parlamentarierdaseins und schreiben autobiographische Romane damit voll, als daß sie sich zu der schlichten, aber schmerzlichen Einsicht bequemen, womit sie sich das Leben schwer machen.

Sie haben's ja wirklich versucht, die Grünen: die basisdemokratische Veredelung des Parlamentarismus. Herausgekommen ist nichts als der überflüssige Beweis, daß parlamentarische Parteipolitik anders als durch die glaubwürdige Demonstration anerkannter Herrschertugenden und -allüren eben wirklich nicht zu machen ist - höchstens zu stören. Das haben einige von ihnen in der Raketendebatte ja sogar auch gebracht. Als Leitlinie mögen die Grünen sich dazu aber nicht verstehen - da bräuchte es allerdings auch eine Kritik der Macht, zu der sie "fähig" werden möchten. Ebensowenig mögen sie sich allerdings zu der Normalität politischer Konkurrenz entschließen, wie die anderen Parteien sie so frech vorführen.

Partei und Fraktion der Grünen sind also bis auf weiteres beschäftigt: mit sich; mit ihrem Willen und Widerwillen, eine normale parlamentarische Kraft zu werden. Mag sein, daß sie an diesem Widerspruch kaputtgehen. Nur kritisch gegen die ganze Scheiße - nein, das werden die Grünen nicht.