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Dieser Artikel ist in der MSZ 11-1983 erschienen.

Systematik

Ostpolitik
EIN UNBEZAHLTER KREDIT IM NAMEN DES DEUTSCHEN VOLKES

Im Sommer hat die Bundesregierung einen Kredit für die DDR vermittelt. Seitdem findet ein reges innerdeutsches Reisen und Verhandeln statt. Die DDR zeigt sich zu den verschiedensten Konzessionen bereit, worauf immer dieselbe Reaktion erfolgt: 'ein Schritt in die richtige Richtung', aber 'es genügt bei weitem noch nicht', 'die Bundesregierung zeigt sich enttäuscht...'. Ein solcher Kredit, der nicht nur Zinsen kostet, sondern auch noch in politischer Botmäßigkeit entgolten werden muß zu ständig steigenden Preisen, sollte sich nicht gelohnt haben?

Gelohnt im geschäftsüblichen Sinn hat sich die Transaktion schon längst vorher: als vorzügliches Geschäft für die Banken. Die Bundesregierung kostet die Bürgschaft buchstäblich nichts; als Sicherheiten fungieren die vertraglichen Zahlungen an die DDR. Umgekehrt aber hat sich die Bundesregierung mit dieser Bürgschaft als Entscheidungsinstanz über die DDR-Kreditwürdigkeit etabliert - ein erstklassiges Erpressungsmittel. Schließlich sind Kredite kein Geschenk, mit dem andere Staaten auf Kosten des Kreditgebers gut leben könnten. Sie sind ein Geschäft für den Gläubiger und eine Waffe in den Händen des Gläubigerstaats.

Die Zahlungsschwierigkeiten der DDR haben die Männer der Wende nunmehr als eine Gelegenheit entdeckt, in Fragen der Kreditgewährung, Umschuldung usw. das politische Vormundschaftsrecht über den anderen deutschen Staat ein Stück weiter auszudehnen. Künftig dürfen die "Brüder und Schwestern" in der Unfreiheit nicht nur vermehrt für Quelle, Hoechst und VW arbeiten, damit die Planwirtschaft die fälligen Zinsen für die Westkredite abwirft. Was die DDR sich ökonomisch überhaupt noch vornimmt, wird mit der Frage zur Debatte gestellt, ob Honeckers "Wohlstandskommunismus" grundsätzlich noch "finanzierbar" ist, denn eine Planungsinstanz der sozialistischen Planwirtschaft sitzt längst in den westdeutschen Bankenkonsortien.

Darüberhinaus sorgt die Kreditklemme der DDR, die durch die Strauß-Aktion ja nicht behoben, sondern dauerhaft gemacht und für die Zukunft vergrößert wird, für ein BRD-Gratisgeschäft: Die DDR kauft vermehrt im innerdeutschen Tauschgeschäft, Ware gegen Ware, was sie früher in anderen Staaten gekauft hatte, um der Abhängigkeit von der BRD auszuweichen. Mit Begeisterung vermerkt die Geschäftswelt die ungewöhnliche Steigerung des innerdeutschen Handels ebenso wie der Schulden, die in Warenkontingenten abzuzahlen sind. Das erweitert aufs erfreulichste den Einfluß darauf, was die DDR zu produzieren und zu liefern hat und welche Preise sie dafür verlangen darf. Die propagandistische Aufbereitung der so erzeugten "Versorgungsmängel" in der DDR übernimmt die deutsche Presse von Bildzeitung bis Spiegel.

Politische Wucherzinsen

Entgolten ist die "Gefälligkeit" der BRD-Oberen damit aber noch lange nicht. Der Westen denkt nämlich vor allem an die "Menschen" drüben. Und zwar nicht in deren Eigenschaft als Lohnarbeiter und Käufer, sondern als die Opfer der falschen, unfreien Herrschaft. Die DDR ist daher "menschliche Erleichterungen" schuldig und zwar in einem Maß, das mit dem Ersatz der alten Parole "Leistung gegen Gegenleistung" durch die neue Parole "Vertrauen gegen Vertrauen" festgelegt worden ist. In Sachen "Menschliches" steht die DDR in einer Schuld, die um so größer wird, je mehr die DDR sie abzutragen versteht.

- Die DDR-Grenzer üben sich betont in Höflichkeit. Die Presse entlarvt das als Heimtücke: Sie versuchen, den Charakter des Regimes zu vertuschen.

- Die DDR veröffentlicht das Schlußdokument der KSZE, nachdem alle westdeutschen Zeitungen geschrieben haben, das würde nie passieren wegen der Abschnitte über Familienzusammenführung etc.

- Die DDR erklärt sich bereit, Geld springen zu lassen für die Abwässerbeseitigung in der Röden. Die DDR läßt vermehrt Häftlinge freikaufen, auch solche, über die sie früher nicht mit sich reden lassen wollte. Bonner Kreise erwarten nach wie vor "qualitative Verbesserungen".

- Die DDR nimmt Kinder vom Mindestumtausch aus. Die Zahl der Besuchserlaubnisse steigt um 50%. Die DDR erläßt eine Verordnung zur Familienzusammenführung, an der nicht einmal FAZ-Juristen Widersprüche zur KSZE-Akte entdecken können. Windelen erklärt: "Jetzt ist Ost-Berlin am Zug. Es reicht nach Meinung der Bundesregierung nicht aus, um den Milliarden-Kredit auszugleichen."

Strauß-Sohn Max mit Vati zu Besuch in Dresden demonstriert mit einer öffentlichkeitswirksamen Schlägerei, daß ein Freiheitskämpfer auf Staatsbesuch mit 50 Westjournalisten im Rücken sich nicht einschüchtern läßt. Prompt entdecken BRD-Politiker die persönliche Befreiung von Leibhäftlingen als Imagepflege. Strauß zeigt die seinen im Femsehen vor. Weizsäcker, vornehm, läßt eine Freilassung melden. Vogel ist sauer, weil er nicht vorher auf den Trichter gekommen ist: "Es ist an Peinlichkeit nicht zu überbieten, wenn sich Strauß der Freilassung von Personen brüstet, die in der DDR inhaftiert gewesen seien. Ganze Säle hätten nicht ausgereicht, wären diejenigen Personen zusammen eingeladen worden, an deren Freilassung Wehner oder ich mitgewirkt haben."

Weizsäcker wiederum vermeldet als seinen Erfolg den Abbau von Selbstschußautomaten an der DDR-Grenze, worauf eine heftige Grenzbesichtigung und Begutachtung einsetzt, wiederum nach dem Muster "ein Schritt in die richtige Richtung", aber nicht genug. Es ist immer noch eine Grenze, bemerken alle westdeutschen Kommentatoren: "Anzuerkennen und zu honorieren wäre allenfalls, wenn das Ost-Berliner Regime markante Schritte in Richtung auf Freizügigkeit für die Deutschen in der DDR untemähme - obwohl auch dies streng genommen nur die Erfüllung von längst eingegangenen Verpflichtungen darstellen würde." (Frankfurter Allgemeine)

Gegenüber einer falschen Herrschaft ist der Einsatz für freies Opponieren erste Christenpflicht, genauso wie hierzulande die gründliche Erledigung jeder Aufsässigkeit. Und ein Austausch rechtskräftig Verurteilter wäre eine klare Aushöhlung des Rechtsstaats, sofern man nicht wichtige eigene Spione dafür bekommt. Gegenüber einer falschen Herrschaft gilt der Rechtsanspruch auf Vertretung sämtlicher ihrer Bürger gegen deren Obrigkeit; in umgekehrter Himmelsrichtung ist jede noch so harmlose Opposition leicht eine fünfte Kolonne Moskaus. Eine falsche Herrschaft hat keinen Anspruch auf ein Staatsvolk; einer guten ist ihr Staatsvolk immer zu klein. Sie erhebt Anspruch auf fremdes Land und fremde Bürger als Staatsvolk unter zeitweiliger "fremder Verwaltung". Eine falsche Herrschaft hat kein Recht auf eine Grenze und darf sie schon gar nicht dichtmachen. Eine gute schließt ihre Grenzen nach Belieben für unerwünschte Elemente, die aus niederen Gründen dazu gehören wollen Asylrecht hin, Familienzusammenführung her. Und die "Menschen", die aus dem Osten befreit werden, brauchen den pakistanischen "Wirtschaftsflüchtlingen" oder den Abschiebehäftlingen, die dem heimischen Elend oder der türkischen Justiz überstellt werden, nicht einmal zu begegnen. Sie genießen die ganze Fürsorge der B RD als Demonstrationsmaterial für die unverdächtige, weil demokratische Neuauflage des Programms "Heim ins Reich". Damit hat es sich dann auch; eine gesicherte Existenz in Westdeutschland hat ihnen niemand versprochen, auch wenn sich F.J.S. einen lebenslänglich ergebenen Chauffeur oder Leibwächter aus diesem Angebot rekrutieren mag.

Solange die DDR neben dem Hineinregieren von Bonn aus noch immer von ihrer Nationalen Volksarmee und ihren Gesetzen Gebrauch macht, "teilt" sie die deutsche Nation und begeht ein ständiges Unrecht.

Und alles das sichert den Frieden

Wenn man es nur in den richtigen Dimensionen sieht. Falsch sieht es der SED-Generalsekretär mit seinen Bemerkungen: "Es verträgt sich schlecht miteinander, über menschliche Erleichterungen zu reden und zugleich gegen uns neue Atomraketen zu richten... Im übrigen gibt es ja wohl einen kleinen Unterschied zwischen den DDR-Selbstschußanlagen und den US-Atomraketen..."

Sicher haben die Pershing II eine andere Erfolgsquote als die DDR-Selbstschußanlagen. Aber daß sich mit der BRD ein Handel 'Menschliche Erleichterungen' gegen 'Verzicht auf Stationierung' abschließen ließe, glaubt der SED-Chef ja wohl selber nicht. Drohen mag die DDR ja gerne mit einer deutsch-deutschen "Eiszeit", falls die BRD stationiert. Aber die Annahme, daß BRD-Politikern das innerdeutsche Geschäft mit noch mehr Häftlingen und noch mehr Familienzusammenführung mehr wert wäre als der Ausbau ihrer Position im NATO-Konzept, das dem gesamten Ostblock die "menschliche Erleichterung" verschaffen will, vom Kommunismus befreit zu werden, diese Annahme ist absurd. Westdeutsche Politiker drohen ihrerseits mit den nur zu bekannten Krediterfordernissen und der "schwierigen" Stationierungszeit: "Ich kann der DDR nur raten, gleich so zu reagieren, daß eine Bewertung durch uns dann positiv ausfällt. Sonst könnte es dahin kommen, daß uns eine 'Nachbesserung' in der hochpolitischen Phase Oktober/November sehr schwer fallen würde." (Hennig, Staatssekretär für innerdeutsche Beziehungen)

So kalkuliert schließlich die BRD ihre aktuelle Deutschlandpolitik: Die bundesdeutsche Aufrüstung gegen das Bündnis, zu dem das andere Deutschland gehört, darf die DDR nicht zum Anlaß nehmen, der BRD vorkriegsmäßige deutschlandpolitische Erfolge zu verweigern. Zwar werden die neuesten Tötungsautomaten (West) mit eindeutiger Zielrichtung aufgebaut, zwar sind DDR-Territorium und Leute bei der Vorneverteidigung schon verplant - aber die Demonstration, über welche Erpressungsmittel gegen den anderen deutschen Staat die BRD verfügt, verpflichtet ihn zu Wohlverhalten gegenüber der feindlichen Rüstung.

Mit der Andeutung weiterer Kreditierungsmöglichkeiten und weiterer Staatsbesuche, die DDR-Politikern die Genugtuung verschaffen, wenigstens vorläufig als verhandlungsfähiger und -würdiger Partner anerkannt zu werden, kaufen sich Kohl, Strauß und Konsorten ihre Kollegen aus Ost-Berlin. Denn die kalkulieren das Verhältnis von Bündnisinteresse und nationalem Interesse etwas anders als die Bonner Herrschaften. Dort hat man schließlich keinen solchen strategischen Aufwertungsbeschluß für die eigene Nation gefaßt und im Bündnis durchgedrückt, der die Machthaber drüben nach Mitteln und Wegen suchen läßt, zumindest für sich diese Feindschaftserklärung abzumildern. In diesem Sinn appellieren sie ausgerechnet an die BRD, es "im Namen des deutschen Volkes" nicht zu dem Ernstfall kommen zu lassen, sich gemeinsam mit der UdSSR verteidigen zu müssen. Ausgerechnet die ganze Nation wird angerufen, in deren Namen die BRD dem "Gebilde" drüben seit jeher die Existenzberechtigung bestreitet. Aufgeschlossen zeigt man sich ausgerechnet gegenüber der Menschlichkeits-Show bundesrepublikanischer Politiker, mit der der NATO-Auftrag zur Eroberung des Ostens seit jeher ins Deutsche übersetzt worden ist. So will man die nationalen Kumpane in Bonn zu besonderer Rücksichtnahme auf die paar tausend Quadratkilometer Mitteldeutschland anhalten.

Der Effekt ist umgekehrt: "Erfolge innerdeutscher Politik" werden mit Genugtuung und gesteigerten Ansprüchen kassiert. Wenn sich aber die DDR auf den Standpunkt ihres Bündnisses stellt und mit Gegenmaßnahmen gegen die Stationierung droht, wird sie sofort ermahnt, doch nicht den deutsch-deutschen Sonderbeziehungen zu schaden. Daß sich die westliche Drohung maßgeblich auch gegen die DDR richtet, läßt man hier überhaupt nicht gelten. Umgekehrt gilt jede russische Rakete in der DDR als Verbrechen am gemeinsamen deutschen Interesse. So - und nicht mit Friedensbewegten - treibt man einen Keil in ein Bündnis.

Grundsätzlich bedürftig

Der Bundesfinanzhof hat endlich entschieden, daß Zuwendungen an DDR-Bürger grundsätzlich steuerabzugsfähig sind, weil deren Bedürftigkeit keinen Nachweis mehr nötig hat.

"Amtliche Auskünfte oder Bescheinigungen seien aus der DDR nicht zu erlangen, die Zuwendungen hätten jedoch auch den Zweck, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen zu stärken und das Wiedervereinigungsgebot wachzuhalten."

Falls man angesichts der neuen Sozialhilfe- und Arbeitslosenhilfebestimmungen Schwierigkeiten haben sollte, seine Anspruchsberechtigung nachzuweisen, empfiehlt sich die Auswanderung in die DDR, zwecks Wiedervereinigung natürlich.

Ein deutsches Schicksal

Gert Simon, Leipziger, trinkt eine halbe Flasche Schnaps, meldet ein Ferngespräch nach Bonn an, landet bei der FAZ und kundigt an, daß er sich umbringt, wenn er nicht ausreisen darf. Am nächsten Tag meldet sich die Bild-Zeitung bei ihm und nimmt ihn unter Exklusiv-Vertrag. Vier Tage später trifft er in der BRD ein. Trotz Exklusiv-Vertrag mit Bild darf er der FAZ Auskunft über sein Schicksal geben:

"Ich möchte einer Arbeit nachgehen, die mir Spaß macht. Ich möchte gern zur Polizei. Das wollte ich schon immer. Aber in der DDR ging das nicht. Aus Überzeugung, verstehen Sie. Ich wollte raus aus einem Land, das auf seine eigenen Leute schießt. Polizist dort, das konnte ich nicht, das wäre nicht in einen Topf gegangen."

Wenn unsere Behörden die bekannte schnelle und unbürokratische Hilfe gewähren, wird einer Geschlechtsumwandlung und der Indienstnahme Simons als Politesse nichts im Wege stehen.

Human wie Krupp-Stahl

Die DDR hat Berthold Beitz, dem Aufsichtsratsvorsitzenden von Krupp die Ehrendoktorwürde der Medizinischen Fakultät von Greifswald verliehen. In ihm wird eine "Persönlichkeit geehrt, die sich den Idealen des Humanismus verpflichtet sieht. Seine Kompetenz als Leiter der Karpaten-Öl AG in Boryslaw/Polen nutzend, bewahrte Beitz während des 2. Weltkrieges zahlreiche Bürger polnischer Nationalität und jüdischer Religion vor der Deportation". Das werden wohl die ebenfalls Beitz angerechneten Ideale "des völkerverbindenden Handels und der friedlichen Koexistenz" gewesen sein, die ihn damals in die Karpaten getrieben haben, um nützliche Polen und Juden der deutschen Rüstungsindustrie als Zwangsarbeiter zu erhalten.

Fortgesetzte Mittel

Der Staatssekretär im Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, Ottfried Hennig, hat endlich erklärt, was die DDR ist: Die DDR ist die "Fortsetzung der Hitler-Diktatur mit anderen Mitteln". "Massenverhaftungen und Konzentrationslager" gäbe es zwar "nicht mehr", aber viele "polizeistaatliche Maßnahmen", z.B. Arbeitsdienst für Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger, Rekrutenvereidigungen als Bevölkerungsfeste, ein todsicheres Erfassungssystem, Mutterschafts-Prämien, Autobahnbau, staatliche Hetze gegen deutsche und undeutsche Schmarotzer am sozialen Netz und ganz viel geistige Führung.

Pardon, das war das falsche Register. Das sind ja die Maßnahmen, die ein freiheitliches Staatswesen zur Festigung seiner Freiheit braucht. Aber vielleicht ist es erlaubt, festzustellen, daß Hennig die Fortsetzung der öffentlichen Dummheit im Staatsdienst ist, mit anderen Mitteln natürlich.