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Dieser Artikel ist in der MSZ 2-1982 erschienen.

Systematik

Tarifrunde '82
NATIONALE GEWERKSCHAFTSSTRATEGIE - LOHNRUNDE OHNE LOHN

Lohntarifrunden sind der Streit um die Festsetzung eines neuen Verhältnisses von Lohn und Leistung - und zwar der Streit um die eine Seite: den Verdienst, den die Arbeiterschaft für die Leistungen erhält, die von Kapitalistenseite beständig verändert und gesteigert werden. Mit dem organisierten Anspruch auf mehr Geld verteidigt die Arbeiterklasse ihre Notwendigkeit, von diesem Geld leben zu müssen, und zwar gegen die das Jahr über von den Anwendern der Arbeit durchgesetzte Entwertung des Lohns im Interesse ihrer Gewinne. Für die Unternehmer ist diese Summe die Kost für die Benutzung der Arbeitskraft, eine Kost, die sich über Veränderungen in der Produktion und Preissteigerungen laufend einträglicher und billiger benutzen läßt. Sie verteidigen also die gelungene Plusmacherei und das Mittel ihrer Fortsetzung. Der Nutzen der Arbeit für die jenigen, die sie leisten, wird also offensichtlich laufend gefährdet durch die Dienste, auf die die Unternehmer mit der Bezahlung Anspruch haben. Deswegen sind die Arbeiter die Fordernden, nämlich die Geschädigten, und unterliegen dabei allen möglichen staatchen Beschränkungen beim Einsatz ihres Kampfmittels, der Arbeitsverweigerung. Sie hätten also allen Grund, den Anspruch auf Lohn möglichst rücksichtslos anzumelden, da die gegnerische Seite die Rücksichten schon zu Genüge erzwingen will und mit gebotener Unverschämtheit fordert.

Hierzulande sind solche Gedanken allerdings von der Gewerkschaft längst als kommunistisches Gedankengut entlarvt und unter Gewerkschaftsfeindschaft eingereiht. Hierzulande sind Tarifrunden etwas anders - sie sind nationale Veranstaltungen. In ihnen wird die nützliche Zurichtung der arbeitenden Klasse von ihren Verwaltern wie auch Gegnern in einer Zahl und ihrer Kommentierung zusammengefaßt. Entsprechend steigt die Unerträglichkeit dieser Veranstaltungen mit der Härte des Programms, für das sie stehen. Der Form nach werden sie ja noch als Streit um den Lohn ausgetragen, als "Tariftheater" eben. In dem Maße aber, wie die nationale Hauptgefahr, die Lohnansprüche der Arbeiter, Manövriermasse der Verhandlungen sind und zum Material ganz anderer, höherer Gesichtspunkte gemacht worden sind, erledigen die Tarifrunden den Gegensatz, in dem Lohn und Nation stehen - und zwar erledigen sie ihn sehr einseitig. Der Arbeiter bekommt nur soviel, wie die Wirtschaft für verträglich erklärt, und das bedeutet mehr als den (angeblich nur zeitweiligen) Verzicht auf ein Stück "Lebensqualität" zugunsten einer mehr oder weniger guten gemeinsamen Sache. Das bedeutet in jedem Sinne Freiheit - für die Unternehmer, rentabel weiterzuwirtschaften; für die Politiker, den wachsenden nationalen Reichtum zu verwalten und auf die staatsbürgerliche Vernunft des arbeitenden Volkes zu bauen; für die Arbeiter, sich die Weisen des immer mehr zur unausweichlichen Notwendigkeit gemachten Einteilens auszusuchen; für die Gewerkschaft schließlich, sich an diesen Erfolgen und ihrer politischen Verwaltung kräftig zu beteiligen.

Die Ehre der deutschen Gewerkschaft...

Was eigentlich ist das Großartige daran, daß die deutsche Arbeitnehmerschaft über eine Einheitsgewerkschaft verfügt, über eine einheitliche Vertretung also, die, von "Spalterorganisationen" unbehelligt, das Arbeitnehmerinteresse der deutschen Arbeiter West zu vertreten in der Lage ist? Worin liegt eigentlich der Nutzen für die Metallarbeiter z.B., daß sie Mitglieder in einem 2-Millionen-Verein sind, so daß sie mittels dieses Vereins mit einer Stimme gegenüber ihrem Interessengegner, den Metallarbeitgebern, sprechen können? Das ganze Jahr über hat ein Metallarbeiter mit den Metallarbeitgebern und ihrer gewerkschaftlichen Ergänzung herzlich wenig zu tun. Jeden Morgen geht er in seinen Betrieb, an seinen Arbeitsplatz, wenn er nicht gerade versetzt worden ist. Mit seinem Lohn und seinem Arbeitsplatz muß er zurechtkommen, und seine Interessen, auf denen er als einzelner wegen seiner Abhängigkeit nicht ohne Schaden beharren kann, werden von seinem Betriebsrat vertreten. Mit Willen und zumeist im Namen der Gewerkschaft werden da die Betriebsnotwendigkeiten überprüft und Arbeitsplatzveränderungen, Entlassungen und übertarifliche Zahlungen im Sinne des Betriebsfriedens mitbestimmt. Bei jeder Veränderung in seinem Betrieb, die ihm vielleicht den Lohn senkt, die Arbeitsbedingungen verschlechtert oder durch die sein Lohn - und der von -zig seiner Kollegen mitunter dazu - vielleicht schlicht zu einer überflüssigen Kost gemacht wird, ist sein Einheitsverein allenfalls als Rechtsberater des Betriebsrats beteiligt. Hier bestimmt sein Arbeitgeber zusammen mit dem betrieblichen Interessenvertreter, dessen Rücken bei der Behauptung von Arbeitnehmerinteressen von keinem Millionenverein gestützt wird. Daß letzterer bei Nichterfüllung seiner Forderungen nur im Nachbarbetrieb anzurufen bräuchte, und schon stünden die Kollegen - straff organisiert, wie sie sind - auf der Matte, ist eine absurde Vorstellung, fern jeder betrieblichen und einheitsgewerkschaftlichen Realität. Schließlich ist ja schon im eigenen Betrieb der Betriebsrat die Existenzweise der gewerkschaftlichen Gegenwehr.

Was den einzelnen Lohn betrifft, so hat hier sowieso der Arbeitnehmer mit, seiner Leistung geradezustehen, und er kann ruhig vergessen, daß er Mitglied der stärksten Einzelgewerkschaft der Welt ist: es nützt ihm eh nichts.

Enthaltsamkeit, Kommentierung der Opfer und Rechtsberatung der Betriebsräte, in mehr besteht sie nicht, die gewerkschaftliche Politik gegenüber dem Kapital; oder besser gesagt: das ist Gewerkschaftspolitik das ganze Jahr über.

Was die DGB-Vereine einheitlich den Unternehmern von Jahr zu Jahr zu bieten haben, ist die Freiheit ihrer Nichteinmischung, tarifveitraglich fixiert, so daß die Sauberkeit der Betriebe von störenden Elementen gesichert ist.

Gewerkschaften, die das ganze Jahr über den Schaden ihrer Mitglieder kommentieren, statt seine Verhinderung zu organisieren, nützen auch den Bereich, den sie sich für gewerkschaftliche Vertretung reserviert haben - die Lohn- und Tarifpolitik - nicht zur Kompensation der Folgen dieser bewußten Enthaltsamkeit. Die Freiheit, die sie den Unternehmern ansonsten lassen, erfährt vielmehr ihre Ergänzung in den Tarifrunden. Entsprechend sehen sie aus. Von ihrem materiellen Gehalt her sind sie nur noch ein Unterpunkt in der Zurichtung der Lage der arbeitenden Klasse entsprechend den "wirtschaftlichen Notwendigkeiten". Wie denn auch anders, wenn die "betrieblichen Interessen" immer schon durchgesetzte und einvernehmlich mitbestimmte Praxis sind! Ob in der Tarifrunde mit 4, 5, 6 oder 7% abgeschlossen wird, entscheidet da nur als ein Faktor, und nicht einmal als ein besonders wesentlicher, über den Erfolg des nationalen Geschäfts. Für die innerbetriebliche Profitabilität dieser Prozente ist und wird längst gesorgt.

In der Tarifrunde geht es allerdings bekanntlich um "mehr-als nur den Lohn": Sie ist der Punkt, an dem die deutschen Einheitsgewerkschaften als solche darstellen, was sie wert sind. Nicht nur in der Hinsicht, daß sie den Betriebsfrieden in deutschen Landen zu wahren wissen - das erledigen ja die Betriebsräte samt Betriebsverfassungsgesetz -, sondern vor allem dadurch, daß sie über die Lohnhoheit der deutschen Arbeitnehmer verfügen, deren Senkung sie ihrem Tarifpartner anzubieten haben. Die Einheitsgewerkschaft hat das Monopol bei der Festlegung der nationalen Lohnhöhe und als solche wird sie öffentlich gefordert und fordert sich selbst. In der Tarifrunde wird von der Gewerkschaft der praktische Nachweis erwartet, wie ernst sie es meint mit ihrer nationalen Verantwortung, und sie selbst setzt ihren Stolz darein, sich dabei nichts nachsagen lassen zu müssen. Die Tarifrunde '82 war ein Hinweis dafür, wie weit es diese Sorte Gewerkschaft dabei schon gebracht hat. Den Nachweis, daß es in ihr nicht um die Verteidigung von Arbeiterinteressen ging, können wir uns diesmal eben deshalb sparen: Solches wurde von keiner der agierenden Parteien mehr behauptet. Nicht einmal linke Gewerkschaftsfans mögen das noch ernsthaft vertreten. Für sie ist Einheit der Arbeiter - jenseits ihres Inhalts - Ausweis genug. An der Organisation der Arbeiter, mag sie auch noch so wenig irgendein materielles Anliegen der Lohnarbeiter ihr eigen nennen, darf man aus Prinzip nur "konstruktive" Kritik üben, z.B. indem man wie sie theoretisch und praktisch den Gewerkschaftsschlägern gegen die "MG-Spalter" zur Hand geht. Das ist aktive Arbeitervertretung!

Die Tarifrunde '82...

war sicher eine saftige Minusrunde, bei der der Abschluß sogar unter der prognostizierten offiziellen Inflationsrate liegt - von den innerbetrieblichen Fortschritten ruinöser Anwendung der Arbeitskraft und den staatlichen Zugriffen auf die Löhne ganz abgesehen. Allerdings, welcher Lohnabschluß der letzten Jahre - sei er unter dem Titel "Einstieg in die 35-Stunden-Woche", "Lohnrunde mit Strukturverbesserungen" oder "soziale Umverteilungsrunde" zustandegekommen - hätte auch nur den Anschein einer Kompensation der Schäden aufkommen lassen, die Gewerkschaftler vor und in den Verhandlungen so beredt als gute Gründe für Lohnforderungen breitgetreten haben. Die Besonderheit der diesjährigen Senkung des Lohns war die Offenheit, mit der die Gewerkschaften Mitgliedern und Öffentlichkeit den Verzicht auf den Schein kämpferischer Abwicklung und den unbedingten Willen zu einem national erwünschten Niedrigstabschluß demonstriert hat. "Lohnrunde in schweren Zeiten, Kampf um Reallohnsicherung" hieß das Motto, und bei seiner näheren Erläuterung sowie bei seiner Realisierung wurde ohne große Umschweife das Gegenteil für unausweichlich erklärt. Unverfroren haben die Gewerkschaften die ganzen so sorgsam gepflegten Ideologien und Veranstaltungen ihrer Selbstdarstellung durchgestrichen und die unbedingte Opferbereitschaft ihrer Mitglieder zum Programm erhoben. Mit lauter Warnungen vor falschen Erwartungen haben sie für "Realismus" Propaganda gemacht und schon vorher keinen Zweifel aufkommen lassen, daß sie beschlossen haben, daß dieses Jahr "nichts drin ist". Die Marschlinie hieß also "Lohnrunde ohne Lohnerwartungen", und die haben sie konsequent eingehalten.

Die starke IG Metall machte den Vorreiter dafür, daß die von Regierung und Unternehmern gewünschten 4,2% abgeschlossen werden. 4,2% hieß die Leitzahl, mit der sie klarstellte:

daß sie willens und in der Lage ist, jeder Forderung von Unternehmern und Regierung nachzukommen, ohne daß die Betroffenen Einspruch erheben würden;

daß sie den Lohn ihrer Mitglieder als Beweismittel der Unterordnung der Gewerkschaft unter das nationale Interesse zu gebrauchen gewillt ist, auch und gerade dann, wenn er national ohne Rücksicht benutzt, also geschmälert wird;

daß sie dafür Respekt, Anerkennung und Hilfe fordern darf - ihre Leistung bekräftigt schließlich ihr Recht, einheitliche und unbestrittene Interessenvertretung der deutschen Arbeiter zu bleiben und darin als wichtig anerkannt zu werden.

Das war das Ziel der Tarifrunde '82, aber nicht mehr wie noch in früheren Jahren vertreten mit den Scheingefechten um das "Prinzip der Tarifautonomie", das man durch Verhandlungen und Warnstreiks um Zehntelprozente gegen die immer ein Zehntel zu niedrig bietende Unternehmer-"Willkür " verteidigt hat. Selbst diese Scheingefechte waren dieses Jahr nur noch erklärter Schein, auf den man deswegen auch weitgehend verzichtet und mit verbalen Beteuerungen der Eigenständigkeit Genüge getan hat. So sehr hat sich die Arbeitervertretung die behaupteten Sorgen von Staat und Wirtschaft zu Herzen genommen, daß sie bei der Inszenierung des Niedrigstabschlusses - und um mehr ging es nach aller Wollen und Wissen nicht - sich sogar die kämpferische Selbstdarstellung verboten hat, die sie schon für eine ungebührliche Störung des sozialen Friedens und Schädigung ihres Ansehens gehalten hat. Bloß noch Verantwortung gegenüber den Verantwortlichen und bloß noch Warnungen vor falschen Hoffnungen sowie Aufforderungen zum Verzichtsrealismus an die Adresse ihrer Basis, das war das Gewerkschaftstheater in diesem Jahr. Vom Image einer machtvollen Organisation blieb allein die trockene Versicherung, daß man nicht umstandslos die Unternehmerwünsche unterschrieben hat, wie IG-Metall-Chef Loderer kurz vor dem feststehenden und allseits bekannten Abschluß seiner Basis so treffend mitteilte:

"Auch in der Schlichtung" (deren schnelle Einleitung man den Unternehmern heuchlerisch vorgehalten hat, bevor man schleunigst in sie eingestiegen und unterschrieben hat) "wird es keinen Abschluß um den Preis eines Gesichtsverlustes der IG Metall geben." Das war in der Sicherheit gesagt und bloß gesagt, daß die Gewerkschaft nach der öffentlichen und ihrer Propaganda für die "schweren Zeiten" mit einem sang- und klangloien Abschluß bei dessen Nutznießern nur gewinnen kann, bei den Opfern aber nichts verliert. Wenn die Mitglieder sich "realistisch" darauf einstellen und zunehmend kommentierend und ganz und gar nicht "aktiv" zu ihrer Vertretung wie zu einer staatlichen Institution stellen, dann sind sie gerade so brauchbare Mitglieder für das staatstreue Gesicht des DGB.

...und ihre Verlaufsform - Lohnsenkung als "Signal"

Das Argument

Bestritten wurde die Tarifrunde '82 mit einem einzigen Argument, das inzwischen für die Streichung jedes Anspruchs seine guten Dienste tut: Arbeitslosigkeit. Arbeitslosigkeit, zu diesem Obertitel hat die Regierung bei all ihren Spar- und Beschäftigungsprogrammen gefunden (auch das rechnet sich der DGB auf seiner Habenseite gut). Arbeitslosigkeit und ihre "langfristige Bekämpfung", so lautet auch das Argument der Unternehmer gegen Lohn und für Rationalisierung. Das "Problem der Arbeitslosiglieit" den Verantwortlichen ins Bewußtsein zu rufen - als ob die nützliche Verarmung mit dem Argument Arbeitslosigkeit nicht schon zügig genug vorangetrieben wurde -, darin sah und sieht die Gewerkschaft 1982 ihre vornehmste Aufgabe. Als armes, unschuldiges Opfer nichtvorhandener Beschäftigungspolitik präsentiert sie sich zum Ende der Tarifrunde:

"Daß die politisch Verantwortlichen über Monate hinweg die Massen- und Dauerarbeitslosigkeit tatenlos (!) hingenommen haben, hat sich nun auch auf tarifpolitischem Gebiet zu Lasten der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften ausgewirkt."

Die Einheitsgewerkschaft hat sich also bruchlos in die Einheit der "Sachzwang"Vertreter eingereiht und ihre Absicht zum Lohnverzicht dem Versagen der Politiker zugeschrieben, das den verantwortlichen Politikern auf den Gewerkschaftssesseln angeblich keine andere Wahl gelassen habe, als die außer Lohn gesetzten Arbeitslosen auch noch um die Verbilligung der Beschäftigten zu ergänzen.

Angesichts der "Beschäftigungsprobleme" wurde, um das Verantwortungsbewußtsein der Gewerkschaft herauszustreichen, mit der Suche nach einem geeigneten Thema begonnen:

Die basisnahe Themensuche

Daß die Suche nach einem dafür geeigneten Tarifrundenverlauf wie -ergebnis das "politische und gewerkschaftspolitische Verständnis" der Gewerkschaftsbasis (der Mitglieder sowieso) weit übersteigen würde, hatte die IG Metall schon frühzeitig beschlossen: Bei der "gewerkschaftlichen Willensbildung" zur Tarifrunde wurde die Basis von vorneherein nicht mehr beteiligt, und im Bewußtsein, wie schwer es ihre Oberen sowieso haben, hat sie sich auch nicht zu Wort gemeldet. Andererseits wurde auch nur der kleinste Versuch, die Gewerkschaft an die Lohninteressen ihrer Mitglieder zu erinnern, sofort niedergebügelt, sofern er mißverständlicherweise einmal von Nichtvorgesehenen (wir meinen hier nicht uns, sondern wirklich die Gewerkschaftstreuen) unternommen wurde. Für die einzigen öffentlich vorgetragenen Streitigkeiten zwischen den Tarifpartnern, ob und wann die Schlichtung und damit der vorgesehene Abschluß einzuleiten sei - einen Streit, den ein normaler Arbeitnehmer ja wirklich nur schwer verstehen kann -, war die Basis dann auch fehl am Platz, und so blieb sie eben so gut wie die ganze Tarifrunde zu Hause bzw. bei der Arbeit. Auch das nach Lesart der Gewerkschaft eine "Wirkung der Arbeitslosigkeit":

"Die hohe und rasch gestiegene Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit und Entlassungen, Konkurse und Betriebsschligßungen sind sicherlich nicht ohne Auswirkungen auf Bewußtsein und Mobilisierbarkeit unserer Mitglieder geblieben."

Die Beteiligung der IG Metall an dieser "Wirkung" begann schon sehr frühzeitig. Erstens, indem sie tunlichst alles vermied, die Basis überhaupt ins Spiel zu bringen oder gar mit richtigen Argumenten zu mobilisieren; zweitens indem sie sie stattdessen mit lauter falschen Gründen versorgt hat, daß sich Einsatz nicht lohnen würde; drittens, indem sie so darüber aufgeklärt hat, daß sie nichts zu unternehmen gewillt ist; viertens, indem sie laufend den mangelnden Einsatzwillen der so traktierten Basis verkündet hat.

Der geplatzte Tarifrentner

So sehr sich der Arbeiterverein gegenüber seinen Mitgliedern jede Freiheit erlaubt hat, so sehr hat er gegenüber den Unternehmern umgekehrt jede Einsicht in die Unabweisbarkeit ihrer Interessen demonstriert und lauter konstruktive Vorschläge für eine einvernehmliche, verantwortliche Tariflösung erfunden, die einen gesellschaftlichen Beitrag zum staatlichen "Sparprogramm" liefert. Dazu hatte sie schon im Frühjahr '81 das Thema "Tarifrentner" in die öffentliche Diskussion eingeführt, als Ersatz für die im Rahmen des Sparprogramms gestrichenen Zuschüsse zur 59er Regelung, mit der vor allem Großbetriebe kostenkünstig ihren Belegschaftsabbau betrieben. So gut gemeint das Angebot war, die Arbeitgeber hatten die Tarifrunde '82 für etwas anderes vorgesehen. Sie wollten erst das Thema Lohn durch eine reine Lohntarifrunde endgültig erledigt haben, gaben deshalb ein paar Mal öffentlich ihr Desinteresse am Tarifrentner zu verstehen, und damit war er auch schon gestorben. Ein paar übereifrige Belegschaften, die gemeint hatten, sie müßten wie üblich demonstrieren, daß es sich bei dem von der IG Metall ausgewählten Thema um einen Herzenswunsch der Basis handle, und die entsprechende Anträge an die Tarifkommission schon beschlossen hatten - einstimmig, natürlich -, wurde zu verstehen gegeben, daß es sich dabei um einen Irrtum handle und daß ab sofort keinerlei Anträge zur Tarifrunde mehr erwünscht seien.

...und sein Ersatz

Den Schein der eigenständigen Themensuche erledigte dann der Vorstand unter sich - durch wechselseitige Bestätigung, daß 1982 alle möglichen und unbedingt notwendigen Forderungen weder durchsetzbar seien noch einen besonderen Effekt hätten.

Noch einmal zum Tarifrentner. Einerseits:

"In den Betrieben wird in der Regel die Frühverrentung als ein vertretbarer und von den Betroffenen als tragbar (?!) empfundener Weg angesehen, der es ermöglicht, jüngeren Beschäftigten, die andernfalls (?) um ihren Arbeitsplatz fürchten müssen, die Arbeit zu sichern."

Das ist zwar ein zusammenkonstruierter Quatsch, soll aber für "Tarifrenter = gut" stehen. Andererseits: Das ist natürlich ein zusammenkonstruierter Quatsch. Wörtlich:

"Die Beschäftigungseffekte müssen realistisch gesehen werden. Die Anzahl der über 60-jährigen im Betrieb sinkt... in Großbetrieben bereits selten geworden... nahezu jeder zweite mittlerweile Frühinvalide."

Zum Manteltarif. Einerseits:

"Die geltenden Tarifverträge geraten in Gefahr, in beschleunigtem Umfang durch die wirtschaftliche und technische Entwicklung überholt zu werden und ihre Schutzfunktion" (vor was eigentlich?) "einzubüßen."

Andererseits:

"Zu bedenken ist aber: Schon die Sicherung der Realeinkommen zu erreichen, wird in der Tarifbewegung 82 erneut auf große Schwierigkeiten stoßen."

Und überhaupt:

"Wenn die IG Metall nicht notfalls auch bereit ist, zum letzten Mittel des Arbeitskampfes zu greifen, sollten aus Glaubwürdigkeitsgründen" (weil uns das sowieso keiner glaubt) "nicht Hoffnungen geweckt werden, die letztlich nicht eingelöst werden." (eben!)

Kurz vor Beginn der Tarifrunde wurde dann den Betriebsräten samt Vertrauenskörperanhang, die brav auf ein Zeichen vom Vorstand gewartet hatten, bekanntgegeben, was sie zu fordern hatten: 7,5% und eine Anhebung der unteren Lohngruppen. Eine höhere Basisforderung sei auf alle Fälle unerwünscht. Warum, wurde auch gleich dazugesagt - man könnte schon fast meinen, damit die Basis auch über die taktische Bedeutung dieser "Forderung" Bescheid wisse: Die Forderungshöhe liege um 1% unter der letztjährigen Forderung und verweise damit auf die Bereitschaft der IG Metall, die "Beschäftigungsrisiken" anzuerkennen. Damit war die Aufgabe der Forderung auch schon erschöpft, und die Basis durfte diesen "Signalwert" bei ihren drei, vier "Stimmungsbildern von der Basis", die ihr in dieser Tarifrunde erlaubt oder verordnet waren, je nach Geschmack unterstreichen: Schilder mit der Aufschrift: "Wir fordern 7,5%" wurden erst gar nicht mehr verteilt. So genau nimmt es die Gewerkschaft bei der Abstimmung der einzelnen Mittel zum Zweck der Erreichung eines "bestmöglichen Ergebnisses".

Der Verhandlungsverlauf

drehte sich dann konsequenterweise nicht einmal mehr dem Schein nach um den Lohn, sondern vor allem um die Frage, in welchem Tarifbezirk zuerst die Schlichtung einzuleiten sei. Genauer ging es darum, den Beschluß, die Schlichtung zuerst in Nordrhein-Westfalen einzuleiten und dort abzuschließen, als Resultat unternehmerischer Verschleppungstaktik und gewerkschaftlicher Gegenreaktion darzustellen. Spannende Probleme dieser Art wurden noch mehr geklärt in dieser

"Tarifrunde mit dem kürzesten Verlauf und dem niedrigsten Abschluß seit über 10 Jahren." (Frankfurter Rundschau)

So wurde z.B. Franz Steinkühler bestätigt, daß er der kämpferische Vorsitzende des stärksten IG-Metall-Bereichs sei (sogar über die Eitelkeit dieses Affen wurde man informiert: "Nur ich in Baden-Württemberg bin in der Lage, das Bestmögliche herauszuholen", soll er in der entsprechenden Sitzung der Großen Tarifkommission gesagt haben), indem Arbeitgebervorstand und IGM-Vorstand nach Abschluß der Schlichtung grinsend in die Kamera erklärten, daß auch Baden-Württemberg sich dem erzielten 4,2%-Abschluß zu fügen habe. Ein herrliches Thema für journalistische Hofberichterstatter, denen in diesem Jahr sogar der "Blick hinter die Kulissen" erlaubt war. Uns hat der Blick vor die Kulissen schon gereicht!

Das Ergebnis

Dank der geglückten Rollenverteilung zwischen Mitgliederbasis und Führung - während die einen ihre Arbeit anbieten, bieten die anderen den Lohn an - war das Ergebnis der Tarifrunde "kein Gesichtsverlust" für die IG Metall, sondern die von den Arbeitgebern gewünschte endgültige Erledigung des Themas "Lohnforderungen". Eine anerkennenswerte Leistung also. Die gesamte Öffentlichkeit, samt Regierung und Opposition, war des Lobes voll. Für die Betroffenen, und das sind dank des durchgesetzten Prinzips der Einheitsgewerkschaft alle Arbeitnehmer, wurde mit dem Reallohnverlust der Beginn der "schweren Zeiten" jetzt auch gewerkschaftsoffiziell eingeläutet und die Arbeit von Kapital und Staat vervollständigt. Noch einmal Originalton IG Metall:

"Die Wirtschafts- und Beschäftigungskrise ist noch keine Krise der Gewerkschaften geworden. Sie wird es auch in Zukunft nicht werden, wenn wir einerseits die Grenzen der tarifpolitischen Handlungsmöglichkeiten deutlich machen" (Die Absage der Gewerkschaft an die Interessen der von ihr Vertretenen glaubwürdig darzustellen, als programmatisches Ziel der Gewerkschaft - nicht schlecht!) "und andererseits unserer Forderungspolitik an den Staat durch breite Mobilisierung glaubwürdig Nachdruck verleihen."

Statt Lohnforderungen heißt also die

Zukunftsperspektive: Glaubwürdige Forderungspolitik

Was darunter zu verstehen ist, konnte kürzlich in Nürnberg und Bremen bei den gewerkschaftlichen Demonstrationen besichtigt werden. Mitten in der laufenden Tarifrunde wurden einige tausend Mitglieder auf die Straße geschickt, um gegen die verschärften Zumutbarkeitsregelungen der Regierung Einspruch zu erheben. Als ordentliche Staatsbürger, nicht als kampfwillige Arbeiter, durften sie, die im Betrieb und bei Tarifverhandlungen jede auch noch so matte Drohung auf Geheiß der Gewerkschaft unterlassen haben, öffentlich an die hohen Herren in Bonn appellieren, doch der gewerkschaftlichen Forderung nach mehr "Beschäftigungsprogramm" entgegenzukommen. Die für jede Zumutung brauchbare Ideologie vom "Haupt- und Staatsproblem Arbeitslosigkeit" wurde gehörig und wohlkalkuliert von denen breitgetreten, die eigentlich am besten wissen müßten, daß sie immer zuviel Arbeit und zuwenig Geld haben, daß sie also nicht Beschäftigung sondern Einkommen brauchen und daß noch jede staatliche Maßnahme zur Wirtschaftsförderung -, ob sie nun "Konjunktur-", "Investitions-" oder "Beschäftigungsprogramm" heißt - den gewinnbringenden Einsatz der Arbeitskraft und nicht den Arbeiter fördert. Aber die Gewerkschaft spielt sich gern und ausgiebig als der Anwalt des nationalen Dienstes der Arbeiter auf und wirft Politikern und Unternehmern - selbstverständlich bloß demonstrativ und neben der praktischen guten Zusammenarbeit - Versagen bei der angeblich gemeinsamen Aufgabe vor, alle fleißigen Deutschen zu "beschäftigen". Die Drohungen, man halte die neue Arbeitslosenregelungen für "nicht zumutbar", weil sie kein Beitrag zur Beschäftigung seien (ein wahrlich gelungener Vorwurf!), nehmen sich einerseits lächerlich aus angesichts der laufend demonstrierten praktischen Bereitschaft, an der Auffüllung der Reservearmee mitbestimmend teilzunehmen, angesichts der aktiven Mitwirkung bei der Verbilligung der Arbeit und angesichts des längst geäußerten Verständnisses für die "Sorgen" (sprich Anforderungen ) der Republik.

Andererseits aber sind solche gewerkschaftliche Demonstrationen in ihrer Einheit mit "unserem" Land das konsequente und bis zum bitteren Ende durchgezogene Resultat staatsdienlicher Gewerkschaftspolitik: die Mobilisierung einer auf ihre Leistungs- und Opferbereitschaft stolzen Arbeitnehmerschaft, die deshalb auch ihr ganz eigenes Recht auf staatsbürgerliche Unzufriedenheit demonstrieren darf. Die Aufrufe dazu liefert der DGB, und er garantiert als die Partei der deutschen Arbeit auch die Abgrenzung zum unverantwortlichen "bloßen Protest". Wirklich ernstzunehmende konstruktive Kritik marschiert nur unter der schwarz-rot-goldenen Fahne der Arbeit mit dem Signum der erbrachten Leistung und mit dem Willen, auch weiterhin durch Arbeit (im Rock sowieso!) dienen zu wollen. Dieses radikal nationalistische Bewußtsein auf die Straße zu führen, hat der DGB zu seinem Programm für schwere Zeiten erklärt: als Ermahnung an Regierung und Unternehmertum, das höchste Gut, die deutsche Arbeit, nicht brachliegen zu lassen; zugleich aber auch als Zeichen gewerkschaftlicher Bereitwilligkeit, ihnen die produktive Nutzung anheimzustellen und dafür selbst alle erforderlichen Beiträge zu liefern. So setzt sich die deutsche Arbeitervertretung vor ihren Mitgliedern und der Öffentlichkeit als tragende Kraft und mahnende Stimme dieser guten deutschen Arbeiterrepublik in Szene.

Die Teilnahme an diesem Programm bleibt keinem Arbeitnehmer erspart: Der Lohnverlust in der Tarifrunde '82 war ja nur der ahtuelle Persilschein, der auch in Zukunft verdient sein will, damit seine Gewerkschaft weiterhin in diesem Staat mitbestimmt. Die Einheitsgewerkschaft den Beweis ihrer über jeden Verdacht erhabenen konstruktiven Mitarbeit liefern zu lassen, auch dafür haben Arbeitnehmer mit ihrem Lohn in schweren Zeiten einzustehen. Für den Erfolg von Staat und Wirtschaft, der sich in nationalem Reichtum, politischer Macht und Rüstung bemißt, sowieso.

Variationen zum gleichen Thema

Daß die deutsche Gewerkschaftslandschaft nicht nur einheitlich ist, sondern in ihrer Einheit umso vielfältiger, auch dafür war die Tarifrunde '82 ein Beispiel.

Die ÖTV erteilte z.B. den Staatsorganen die "Blamage", wie ohnmächtig sie ohne die Gewerkschaft bei der zeitgemäßen Senkung der Einkommen sind. Die einprozentige Vorwegsenkung sei vom Verwaltungsaufwand her eh zu teuer - mit diesem Argument fielen die Gemeinden als erste um. Die Öffentlichkeit verteilte die Blessuren, die Kluncker angeblich verteilt hatte, so daß der Sieg der Tarifautonomie - die Würdigung der Rolle der ÖTV schon erfochten war, bevor der Kampf überhaupt begonnen hatte. Die Sonderopfer zur Aufbesserung der Staatsfinanzen, natürlich aus Solidarität mit den Arbeitslosen, wurden dann in der Tarifrunde pflichtgemäß abgeliefert. Daß um sie noch einmal ganz tarifautonom gerungen wird, versteht sich. Nach dem Stand bei Redaktionsschluß hatten sich Baum und Kluncker soweit angenähert, daß ein Abschluß zwischen 3,5 und 4,2% "in Sicht" ist und der neutrale Hermann Höcherl nur noch die passende Mitte erschlichten muß. So bekommt der Staat seinen Willen und die ÖTV nach der Tarifoptik (IG Metall 4,2% = Öffentlicher Dienst eigentlich auch 4,2% minus 1% = 3,2%, ergibt bei einem 3,8%-Abschluß bloß ein Sonderopfer von 0,4%) bekommt ihren Willen ebenfalls.

Die IG Chemie, auch eine Gewerkschaft, die auf ihre Eigenart Wert legt, erklärte stolz ihren Beschluß, die Tarifrunde '82 gleich ganz ausfallen zu lassen und sich stattdessen um die Regelung der in ihrem Bereich stattfindenden Entlassungen mittels "Tarifrentner" zu kümmern. Außer einer anerkennenden Würdigung durch die Öffentlichkeit und die IG Metall (Loderer: "ein sehr interessanter Vorschlag") fand ihr Vorschlag allerdings keine Beachtung. Immerhin, sie hat von sich reden gemacht. Inzwischen verhandelt auch sie offiziell "nur noch" über den Lohn und zwar in Bezug auf den IG-Metall-Abschluß minus ein paar Zehntel. Schließlich ist sie - sehr absichtsvoll - mit dem Tarifrentner "gescheitert", da ist ja wohl für jedermann klar, daß danu bei den Prozenten schon erst recht nichts mehr drin ist. Die IG Druck und Papier hat sich eigens ein "Problem der Lohnstruktur" einfallen lassen, von dem niemand so recht weiß, worin es eigentlich besteht außer in der Verkündung, daß die kommende Mediengewerkschaft übertarifliche Zulagen tarivertraglich absichern will, daß sie die Abgruppierungen verhindern will, die sie vor ein paar Jahren angeblich mit ihrem Manteltarifvertrag unterbunden hatte, daß "die neue Lohnstruktur weitgehend... kostenneutral sein wird" und es trotzdem schwer sein wird, die Unternehmer zur Einengung ihrer "Spielwiese übertarifliche Lohnbestandteile" zu bewegen. Das hört sich aber sehr nach einer Tarifrunden-Spielwiese der IG Druck an! Sie wird sich also auch irgendwo bei 4% ohne Übertarife und Sonstiges einfinden. Eine fortschrittliche und realistische Gewerkschaft war sie ja schon immer.

Am besten hat uns allerdings die Eisenbahnergewerkschaft gefallen. Sie hat zur Tarifrunde eine Aktion "Rettet die Eisenbahn" gestartet, mit einer bundesweiten Unterschriftensammlung, für die sie mit einem Prospekt wirbt, auf dem zwei Bürgerhände sich schützend um eine kleine Modelleisenbahn legen. Lieb, wirklich!