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Dieser Artikel ist in der MSZ 4-1980 erschienen.

Systematik

Hofberichterstattung aus dem Reich des linken Angebers
DIE TAGESZEITUNG

Mit der Tageszeitung hat die linke, alternative, grüne und Scenen-Gegenöffentlichkeit seit einem Jahr die Öffentlichkeit bekommen, die sie verdient. Nur gerecht, der Geburtstagsgruß von Schreiberling zu Schreiberling:

"Herzerfrischend muß erfrischend bleiben dürfen, und Alternativen soll man nicht einfach wegdiskutieren". (FAZ)

Braucht man auch nicht, wo sich der Taz-Leser die Entlarvung des "gekauften Journalismus" als Beigabe zur täglichen Lektüre von FR, SZ und Spiegel zu Gemüte führt. Daß dreckige Kaffeetassen in Redaktionsräumen dem Zeitungsgeschäft abträglich wären, glaubt ja auch niemand, stehen doch Chaos und Dilettantismus für den Beweis, daß trotzdem täglich die Taz erscheint, weil ihre Macher nicht "kühl-distanziert", sondern mit Leib und Seele Zeitungsfritzen sind.

Ganz daneben auch die Kritik an der Taz, sie sei von allem, was sich "links unten bewegt", "abgehoben" (nach rechts oben?) und es würde "nichts rüberkommen". Schließlich schieben die solchermaßen Betroffenen täglich ihre Mark rüber, um sich an der Diskussion: 'geht linker Journalismus?' zu erbauen, die der Inhalt der Zeitung ist. Das immer wieder formulierte Urteil der Redaktion, ihre Leser seien rechte linke Arschlöcher, weil sie sich nur bedienen ließen, stiftet da keinen Unfrieden, sondern ist feste Grundlage eines harmonischen Einverständnisses. Diese Meinung über ihre Leser dokumentieren die Redakteure nämlich glaubhaft an sich selbst und so eint der gemeinsame Stolz, über den eigenen linken Vorurteilen zu stehen, Leser und Schreiber auf einer soliden geschäftlichen Grundlage. Von wegen die über die Frage nach ihrer Existenz zerstrittene Linke hätte nur noch Krisen: Sie hat ihre Zeitung.

Die Leser führen sich als Arschlöcher ein

Der unschätzbare Vorteil der Taz, die mit dem Anspruch angetreten ist, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen, liegt zweifellos darin, daß ihr Publikum die Gegenöffentlichkeit ist. Das Abonnement gehört zum alternativen Leben wie Beziehungsgespräche und Kneipengang, ohne daß die Taz unbedingt gelesen werden müßte.

"Sie ist eine wichtige Alternative zu Springer. In der letzten Zeit bin ich kaum dazu gekommen, sie zu lesen".

Braucht Panik-Udo auch nicht: Das Bekenntnis, etwas gegen Springer zu haben, ist das Abo der in den Papierkorb wandernden Taz allemal wert. Noch dazu, wenn die

"Frau meiner Träume Mauern" (Fritz Teufel über das Pro;ekt linke Tageszeitung) "wegfegt wie nix und Springer enteignet, indem sie ihm Leser klaut".

Zwar wird Lindenberg kaum vor Erscheinen der Taz die "Bildzeitung" gelesen haben, aber für die Selbstdarstellung als Revoluzzer, weil Bezieher einer alternativen Zeitung, die er nicht lesen muß, um in ihr seine Wichtigkeit wiederzufinden - ganz im Unterschied zu den durch "Bild" verblödeten Massen - ist die Lüge doch recht geeignet.

Mit der gleichen Wichtigtuerei kann man die Tageszeitung natürlich auch abbestellen und die eigene Person als Verwirklichung dessen vorführen, was in der Zeitung bloßer Anspruch geblieben sei, - was die Taz als Werbung für sich versteht und stolz abdruckt. Man/frau verfügt über einen größeren "Reallismus":

"...der Anspruch, eine bundesweite linke Zeitung in Konkurrenz zu den übrigen Zeitungsgaunern zu machen, erscheint irgendwie unrealistisch" - wendet "Betroffenheit" an: "...ich habe verdammt andere Probleme, als euren Diskussionen zu folgen. Im Ernst!"

- wünscht der Zeitung, so weiterzumachen wie bisher - oder auch nicht -, weil man ja auch der alte Hänger bleibt:

"...abbestellen. Macht trotzdem so weiter, oder vielleicht auch etwas anders?!"

- ist ein noch lustigerer Kerl als die "Säzzer":

"Ich habe mich nun doch entschlossen, die tägliche DM-Mark lieber in Gummibärchen zu investieren"

- und macht aus der gemeinsamen Lüge, etwas verändern zu wollen, einen Vorwurf an die Taz: "Viel Kritik und nix kommt - bei raus, oder?" Das regelmäßig nachfolgende "trotzdem Rotfront!" und "Dennoch macht weiter so!" hat seine Richtigkeit. Das aufgeblasene Gehabe, nichts ernst nehmen zu wollen und darin die Größe der eigenen Person zu betonen, ist getreues Spiegelbild der Betroffenheit, die die Taz Nummer für Nummer und Anlaß für Anlaß empfunden haben will.

Die Schreiber: allein gelassen

Bei so viel Übereinstimmung, die ihren festen Platz in der täglichen Leserbriefseite der Taz unter dem Motto: "Ist das noch unsere Zeitung?" hat, muß der Vorwurf der journalistischen Profis reichlich albern erscheinen:

"Wir können doch nicht einen anderen Journalismus entwickeln, wenn die Menschen dazu fehlen".

Als Könner ihres Metiers wollen sie auch nur auf die im Vergleich zur bürgerlichen Journaille besondere Ernsthaftigkeit beim Zeitungsschreiben hingewiesen haben. Auf die Ideale seines Geschäfts: kritisch, unabhängig und objektiv - nur ganz anders - kommt es dem Taz-Schreiber sehr wohl an. Im Reich der alternativen Basis ist die Tageszeitung ihren Lesern damit immer einen Schritt politisch voraus. Jede Aktivität der Szene, die sie aufgreift - wichtig, weil gegenöffentlich - stellt sie in einen Zusammenhang, in dem sie sich als die politische Instanz der Linken aufspielt, die das gewaltlose Wendland mit dem vorgeblichen Wunsch nach Gewalt konfrontiert und die italienischen Terroristen mit dem hämischen Hinweis auf ihre Erfolglosigkeit gleichermaßen bescheuert dastehen läßt. Was immer auch da an Betroffenheit zu Wort kommt, gilt dabei völlig gleich - es sei denn, eine Aktion von Gören aus einer Indianerkommune, die für freie Sexualität auch mit Kindern in den Hungerstreik tritt, bekommt den Bonus eines besonders originellen Einfalls -, denn alles dient dem Nachweis eines höheren politischen Standpunkts, den die Zeitung vertritt und vor dem sich jedes alternative Anliegen darin blamiert, daß es bloß ein einzelnes aus der Vielfalt der linken Betroffenheiten ist. Kein Wunder, daß die Journalisten der Taz ihr Interesse, eben eine Zeitung mit allen dazugehörigen Ideologien dieses Geschäfts machen zu wollen, zur wichtigsten Betroffenheit erklären. Ebenfalls nicht verwunderlich, daß dabei ein neidischer Blick auf die sonst so verachtete bürgerliche Konkurrenz herauskommt. Vor Erscheinen der Taz soll linker Journalismus das reine Vergnügen gewesen sein: Man saß einfach in einer normalen bürgerlichen Zeitungsredaktion, und diese Idylle erlaubte es, schon laufend die Gegenöffentlichkeit zu praktizieren, derentwegen die Taz erfunden sein soll.

"Die Artikel waren dann so, wie die Gruppen sie brauchten und erwarteten: Ungeheuerlichkeit, der Staat gibt kein Geld oder schmeißt Leute raus, wo sie doch so gute Arbeit geleistet haben".

Jetzt hingegen spielt der Taz-Redakteur den von der Unmenschlichkeit seines von ihm entworfenen Zeitungsideals unendlich Gestreßten, der es sich heroisch versagt, zur "Frankfurter Rundschau" zurückzukehren, sondern stattdessen als Taz-Redakteur sich tagtäglich einen persönlichen Beitrag zum alternativen Leben abringt, für den er gewürdigt sein will:

"Die Taz ist ein fordernder Arbeitgeber. Sie hat unser eigenes Pflichtgefühl, unsere eigenen Ansprüche zum Kontrolleur über unser Engagement und unsere Arbeitsleistung gemacht. Wir sind uns selbst ausgeliefert, und wenn wir uns dagegen nicht wehren, ist es schlimmer als unter einem konventionellen Arbeitgeber. Denn der Ausweg, die Flucht in die Job-Mentalität ist bei uns nicht drin."

Skandalös! Knechtet sich der Mensch doch mit einer Zeitung, die er selber macht und zwar deswegen, weil er in sie reinschreibt, was er will. Das muß ein unausweichlicher Leidensdruck sein. Denn einfach morgens vor dem Fabriktor anzutreten, um einen billigen Ausweg in die Job-Mentalität zu finden, ist bei diesem gestandenen Intellektuellen natürlich nicht drin.

Schuld an der Vergewaltigung durch die eigenen Ansprüche will er dennoch nicht selbst sein, sondern die sog. linke sog. Basis übt mit ihrer sog. Betroffenheit eine unerträgliche Zensur auf ihn aus. Während von ihm Parteilichkeit gefordert wird, hält der Tazler als alternative Presse das alte bürgerliche Ideal "unabhängig - überparteilich" (steht auch im Kopf von "Bild") hoch und unverschämten Ansprüchen aus der Szene an "ihre" Zeitung entgegen:

"In diesem Jahr hat sich mein Verhältnis zu den Aktivitäten der 'Linken' entscheidend verändert, während ich inzwischen auf Anrufe, Presseerklärungen oder persönliche, oft drohende Anrufe von Gruppen eher ablehnend reagiere, fordern die Gruppen von der Taz als 'ihrer' Zeitung (und das sollte sie unseren eigenen vagen Versprechungen nach ja sein" (unverschämt, jemanden auf vage Versprechungen festlegen zu wollen!) "noch mehr Unterstützung als vorher... Tja und genau da kommt die neue Zensur, nicht die von oben, sondem die von links - und die ist viel schlimmer als die andere, weil man sich gegen sie so schwer wehren kann."

Da sich kein undogmatischer alternativer Leser der Taz den Schuh anziehen wird, ein "Linker" zu sein, wird diese Beschimpfung schon richtig verstanden. In der Lüge einig, sich eigentlich immerzu gegen "die oben" zu wehren, ist diese Attitüde doch bestens geeignet, allein schon den Verdacht linken Sektierertums bekämpfenswert zu finden. Im Unterschied zu diesem bemüht man sich bei der Taz um Authentizität und leiht als Linker den Sorgen des einfachen (= nicht alternativen) Volkes sein Ohr. Die Arbeiterklasse taucht im Taz-Journalismus zwar gelegentlich vermittelt über die Spalte "Betriebe und Gewerkschaften" auf, deren vorübergehende Einstellung schon davon kündet, daß ein Alternativer sie eigentlich viel lieber so besprechen möchte, wie er sie als Intellektueller sieht: ein Haufen Spießer, dessen eigene "Alternativen" zur Maloche ihm leider "verschlossen" sind, so daß die eigentlich "Betroffenen" auf der Welt letzten Endes immer wieder die Taz-Schreiber sind:

"Diese 'Betroffenen' sind zu linken Institutionen geworden... da möchte ich viel lieber über die Betroffenen berichten, deren Leben wir nicht kennen... die... eher im Sportverein, Kegelclub oder Hundezüchterverein organisiert sind. Das sind die Bereiche, die uns verschlossen sind."

Aber, aber! Das muß doch nicht so bleiben - wer sagt denn, daß Dackelzucht nicht auch ein Beitrag zur alternativen Lebensgestaltung sein kann, von der sonst doch nur feststeht, daß jede praktische Zumutung eine Vergewaltigung linken Fühlens ist.

Die sinnvolle Einheit beider

So hat sich die Taz zur einenden Institution der alternativen Scene gemacht, bei der man sich täglich die Bebilderung linken feelings abholt, ironisch über den linken Vorurteilen, die man zu haben sich einbilden will, zu stehen. Die eigene Blödheit als lustiges Argument, das Vorführen der gerne zugegebenen Lächerlichkeit als bedeutungsvolle Verheißung für die Welt, das ist die Philosophie, mit der ein alternativer Journalismus sich zur politischen Alternative aufplustert und bei seinen Lesern gut ankommt, weil sie die kommentierende Begutachtung, wie blöd man alles finden kann, als die ihnen angemessene Betätigung von Gegengewalt verstehen.

"Wenn wir Terrorisnius und Kommunisnius als legitime Erben beerben, die heiße und die kühle Leidenschaft für uns gewinnen" (wer sollte dich daran hindern?), "dann haben wir eine Chance. Zugegeben, daß es nicht geht." (Macht doch nichts!) "Die Maschine" (na nu!) "zu stark und die Menschen zu schwach. Oder nicht wollen" ('oder' ist gut!) "oder können. Noch nicht, weil die historische Zeit es nicht zuläßt" (das wird die Vertreter des welthistorischen Fortschritts freuen!). "Überhaupt nicht. Was weiß ich."

In diesem peinlichen Gestammel hat sich der Gestus einer Pseudo-Betroffenheit Sprache verliehen und zugleich die Grundlage für einen endlosen Disput der Selbstbespiegelung und gegenseitigen Bestätigung in der bornierten Ausmalung eigenen Leidens an der Welt geschaffen. Das ganz protzige Programm einer linken Tageszeitung als "Gegenöffentlichkeit" erweist sich hier als täglich gedruckte und unter die (gleichgesinnten) Leser gebrachte methodische Selbstreflexion. Die große Leistung der Taz-Macher und ihre ständige "Herausforderung" besteht darin, daß sie die Taz machen, genauso wie die Taz-Leser sich politisch vor allem dadurch bestimmen, daß sie die Taz lesen und die Aktivisten unter ihnen sie sogar abonniert haben. Das große Thema der Taz ist die Taz und drumherum ranken sich ein paar Meldungen der Nachrichtenagenturen

"Und wenn du mich bis hierher gelesen hast, willst du, daß ich KONKRET werde. Mach ich aber nicht. Hast du nicht auch manchmal beim Lesen der Taz das Gefühl, daß zwar viel in ihr drinstand, aber konkret nichts rübergekommen ist? Deshalb denke ich, sollten wir jetzt endlich anfangen zu diskutieren. Los, sitz nicht rum!"

Die gute "Säzzerin" macht sich ein Problem, das sie nicht hat - wer hindert sie denn, konkrete Sätze, was immer das sein mag, zu schreiben? - zum Angriff auf den lesenden Schlappmann. Weil dieser weiß, wie die Heuchelei gemeint ist, genießt der Taz-Leser die tägliche Vorführung seiner Person als eines zufriedenen Blödmanns - der er ist, nur anders als er selbst und seine Zeitung es meinen.

Die betont lockere Schreibe, die sich aus dem: "Du willst nix, ich will nix, ganz wichtig, daß wir uns verstehen" ergibt, ist das Erkennungszeichen der Taz-Gemeinde, die ihrem Leibblatt täglich entnimmt, daß man die Ereignisse der Welt ganz anders als die bürgerliche Presse zu sehen hat, ohne auf eines der dort an den Mann gebrachten Vorurteile verzichten zu müssen. Ganz entgegen der sonstigen Berichterstattung über den knüppelnden Polizeieinsatz am Bohrloch 1004, die mit ihrer Stellungnahme für Recht und Ordnung gelinde Zweifel äußert, ob hier angesichts der bewundernswert friedlichen Haltung der Demonstranten die Verhältnismäßigkeit von der Polizei nicht übertrieben worden sei, trägt sich die Parteinahme der Taz für die Besetzer wesentlich gelassener vor. "Hurra, wir haben verloren!" überschreibt der Kommentator seinen Situationsbericht nach der Räumung - mit feiner Ironie, die aus der Wut im Bauch kommt.

"Viele Leute gehn am Abend vom Platz wie nach einem Fußballspiel: Gut, ihr habt gewonnen, aber es hat ja nicht weh getan. Als ob man uns nichts getan hätte. Als ob nichts kaputt gemacht worden wäre, als ob der Platz jetzt nicht frei wäre für den Baubeginn. 'Na, Ihr habt jetzt wohl Feierabend', ruft ein sich sonnender BGS-ler einigen nach Hause ziehenden Besetzern zu. 'Na, und Ihr, Ihr müßt noch bleiben was?' kommt die Antwort freundlich zurück. Fehlt nur noch das 'Tschüß, bis zum nächsten Mal!'. Räumung 1980, perfekt, hygienisch, umweltfreundlich und erdrückend sozialpartnerschaftlich. Herr Baum, wir gratulieren!"

Da haben ihm doch diese AKW-Freizeitsportler, feige Drückeberger, direkt um eine anständige Kriegsberichterstattung gebracht. Was aber auch nichts macht: Daß er's mit der heißen Leidenschaft: sich wehren! hält, ist er ja losgeworden - und darauf ist es ihm angekommen. Deshalb will er auch nicht gegen die Demonstranten gesagt haben, die ihre gewaltsame Entfernung vom Bohrloch als einen Sieg ihrer friedlichen Gesinnung über die eigenen unfriedlichen Ängste und vorgeblich schlummernden Aggressionen und als moralische Beschämung der Staatsgewalt geplant haben und jetzt als Erfolg feiern (wofür doch AKWs alles gut sind!) Zur Ohnmacht sind sie und mit ihnen die Reporter gezwungen worden, da sie nicht mit Polizeiknüppeln und Wasserwerfern verjagt, sondern mit ihrem eigenen moralischen Mittel der Gewaltlosigkeit vom Staat geschlagen worden sind. Gemerkt hat dies der Reporter an den "sich sonnenden BGS-lern" und den "Wassserwerfern, die in der Landschaft stehn, als ob sie dort hin gehörten" - umweltbewußt sind diese Dinger also auch noch!

Einfach schade: Da nur Gewalt Gegengewalt erzeugt, der staatliche Polizeieinsatz jedoch gerade die raffiniertere Friedfertigkeit der anderen Seite beweist und ausgerechnet in Gorleben meilenweit keine Gewalt zu sehen gewesen sein soll, bleibt die tiefe Sehnsucht nach möglichem Widerstand ausgetrickst zurück. Daß die militärische Generalstabsplanung keine Toten und Schwerverletzten auf dem Bauplatz zurückgelassen hat, macht einen heutigen Linken glatt wehrlos vor der Bosheit eines Staats, der, wo er seine Pläne mit Gewalt durchsetzt, die eignen Ideale von Umweltfreundlichkeit, Bürgernähe und Sozialpartnerschaft gepachtet haben und keinen Anlaß mehr für irgendeine Kritik mehr hergeben soll. Deshalb alle Hochachtung, Herr Baum! Umso größer allerdings die Hochachtung vor der eigenen Wichtigkeit: Hat man selbst nicht den Staat dazu gezwungen, sich bei der Räumung als ökologiseher Saubermann und Friedensapostel aufzuführen, weil er sonst niemals mit der Kampfansage, die ihm mit Spiel und Tanz auf dem wendischen Dorfplatz geboten wurde, fertig geworden wäre?

Alternativ journalistischer Journalismus

Wenn sich schon Wendland als der bessere Staat vorführt und seine Bewohner die Verhinderung der AKWS damit vorantreiben, ihre Eignung als Paßbeamte unter Beweis zu stellen, darf die Taz-Redakteurin nicht fehlen, die als "Verteidigungsministerin in spe" ihren Wunschtraum vom Wunschtraum deutscher Politiker zu Papier bringt:

"'Diese blöden Linken', sagte ein anderer. 'Anstatt mal einige ihrer berühmten Aktionen zu machen, anstatt mehr Republiken Freies Wendland und meinetwegen auch den Freistaat Bayern auszurufen", (Strauß ein geheimer Wendländer?) "... anstatt mal, einen Spruch zu lancieren wie beispielsweise den: 'Die Supermächte tun uns am meisten nützen, wenn sie uns überhaupt nicht beschützen' - verstehen sie einen Dreck über den wirklichen Ernst der Lage. ... 'Weißt du', sagt wieder ein anderer, 'die Linken haben resigniert. Die wissen nicht mehr, ob es wirklich was nützt, was sie machen.'... Ja, Kollege, müssen denn ausgerechnet wir bürgerlichen Scheißer sie darauf hinweisen, daß sich der 'Vietnamkrieg allein deswegen nicht zu einem Atomkrieg ausgeweitet hat, weil die innenpolitischen Proteste gegen den Krieg davon abgehalten haben.'"

So sieht der Tazler die große Politik: Ratlos sitzen die Minister im Atomschutzbunker und hoffen auf die Linken, daß sie "Onkel Herbert" und "Onkel Helmut" davor bewahren, aus "Nibelungentreue" zu den USA in den III. Weltkrieg zu ziehen. Die Persiflage auf die Staatsgewalt und die eigenen Aktivitäten ist nichts weiter als gediegene Anerkennung für beide - ein "alternativer " Nationalismus, der sich auch noch dazu bekennt und Vorbilder benennt:

"Die Franzosen beispielsweise, die Sicherheit mit nationalem Stolz verbinden und konkret mit den Interessen ihres Landes, die sie keine Scheu haben, zu benennen."

Den Genuß an der Vorstellung, das tägliche Wirken der Politiker auf der ganzen Welt für reinen Schwachsinn und die blutige Hinterlassenschaft dieses Wirkens für das Zeugnis harmloser Ineffektivität zu nehmen, bebildert sich der Taz-Leser ganz kosmopolitisch. Sein Antiimperialismus ist die hämische Freude über die Erfolglosigkeit des weltweiten Zuschlagens der Amis, weshalb ihm am gescheiterten Kommandounternehmen im Iran nur der Dilettantismus aufgefallen sein will und nicht der durchgesetzte Erfolg, von dem aus Carter sich solche Unternehmungen leisten kann. An Afghanistan führt er sich vor, daß er jedenfalls wüßte, was ein Politiker seines Schlages, zu machen hätte - jedenfalls nicht das, was nur Schlappmänner im Weißen Haus zustandebringen:

"Die Stärke der sowjetischen Truppen ist aufgrund der wachsenden Schwierigkeiten auf 110.000 Mann erhöht worden, erklärte am Wochenende der US-Außenminister Christopher. Ob der CIA richtig gezählt hat?"

Hat er natürlich nicht, darin ist man sich sicher - und damit ist das Interesse daran, warum irgendwelche Bergstämme dafür herhalten müssen, als Leichen einem unbändigen Willen nach Freiheit und Demokratie Ausdruck geben zu dürfen, auch schon erledigt. Der Bierernst der Revisionisten aller Schattierungen, die bei jedem Schlachtfest des Imperialismus die auf der Strecke gebliebenen Opfer als Beweis für den unausweichlichen Niedergang ihrer Schlächter aufzählen, wird sich doch auch lustig nehmen lassen!

Noch heiterer als das Bild des CIA, der Bürgerkriege überall nur deswegen anzettelt, weil er sich beständig verschätzt, ist die weltweite Solidarität der Opfer, zu denen der Taz-Leser sich schon deswegen zählt, weil er als fröhlicher Mensch hinterm Tresen hängt und dabei den goldigen Humor von Negern, die in Miami nicht zusammengeschossen und totgeprügelt werden, sondern der Gesellschaft ein Schnippchen schlagen, ausnehmend menschlich sympathisch findet:

"Auch beim Plündern bleibt noch Zeit zum Fiedeln."

Da er in der gleichermaßen gelassenen Registrierung von Gewalt und ihren Opfern immer nur seine heitere Schafsnatur bestätigen lassen will, genießt er an der Tageszeitung die Intellektuellenmanier des "Spiegel", das Bekenntnis zur Politik ironisch auszugestalten, aber als Ergänzung zum "Spiegel".

"In einer taktisch brilliant geführten Schlacht errang die ELPF, die Eritreische Befreiungsfront, kürzlich einen durchschlagenden Erfolg gegen die Äthiopier und ihre sowjetischen Berater, die die Kräfteverhältnisse am Horn von Afrika, die innere Machtabstützung des Mititärregimes in Addis Abeba sowie die Aspirationen und Machtspiele der Mächtigen ins Fließen brachte. Fleißige Generalstabsarbeit in den westlichen, östlichen und arabischen Geheimdiensten, ein verwirrendes diplomatisches Spiel zwischen Addis Abeba, Karthum und Moskau und schlecht zu verbergende Machtkämpfe in Addis Abeba haben eine wilde Gerüchteküche in Sudan genährt, deren Geruch seit Mitte März einen Strom von westlichen Journalisten in den Sudan lockte, die Informationsabfälle zu verwerten und das saturierte Publikum mit kriegerischen Nachrichten, spannenden Machtkämpfen und dem Elend der Bevölkerung dieser Region Afrikas zu verwöhnen."

Das ist ein Angriff auf die bürgerlichen Zeitungsschmierer! Schreiben diese doch ihre Lügen einem saturierten Publikum nach dem Mund, während die gleichen "kriegerischen Nachrichten" von "spannenden Machtkämpfen" hier über eine gehobene Zufriedenheit mit der Welt von seiten des alternativen Spießbürgers informieren. Wie der "Spiegel"-Leser, der als Kenner politischer Interna (Geheimdienst und so), weiß, was die Welt bewegt und als Durchblicker das imperialistische Treiben genüßlich beobachtet, genießt auch der Taz-Leser seine background (Pseudo)Informationen mit dem kleinen Unterschied, daß in der Taz nicht die raffiniertesten Politiker, sondern die listigen Massen die Sache in Bewegung und zum richtigen Ende bringen. Im zitierten Falle ist es eine eritreische Befreiungsbewegung, die das Ränkespiel der Weltmächte "taktisch brilliant" stört und die sich zugleich für den eigenen Antikommunismus hernehmen läßt. Dieser und die Parteinahme für die kämpfenden Massen da hinten ergänzt das distanzierte Bekenntnis des "Spiegel"-Leser zum Imperialismus. Deshalb liest der Alternative nicht nur den "Spiegel", sondern auch die alternative "Tageszeitung".

Und auf diese feinen Unterschiede kommt es dem Arschloch auch noch an!